(11-12 / 2024)


Proaktives Stadt- und Regional-Management im Quartier   PSuRMiQ

 

Ausgangslage                   „Generationenvertrag für das Klima“ (11 / 2022) sieht / schreibt „Treibhausgasneutralität bis 2045“ im Bund vor.

 

Kommunen                        sind letztlich mit der Ausführung vor Ort beauftragt.

                                              Aber: „Schuldenbremse“ und „Unterfinanzierung“. 

„Konkurrierende

Gesetzgebung“:                Konflikte zwischen Bund und Ländern.

 

Überschaubarkeit von

Einsatzmöglichkeiten:    städtische und regionale Quartiere / „Kieze“ und

„Heimatorte“ bis ca. 100.000 Bewohner.

 

Zensus 2022:                    82,7 Mio. Bundesbürger, 78 Städte über 100.000 Ew.

 

Ziele

1 „Wärmewende“:           „Eigentümer-Nutzer-Ausgleiche“ in innerstädtischen Blockrandbebauungen, im Blockinneren und in anderen städtischen und regionalen Siedlungsformen zur Ermöglichung von Blockheizkraftwerken.

 

2 „Energiewende“:           Offensive Förderung von Dachsanierungen / -ertüchtigungen / -aufstockungen zur Ermöglichung von Solaranlagen im Verbund.

3 „Neuformation von

Genossenschaften“:        Ggf. Ablösung der Dachflächen als Solarertragsflächen von der im Verkehrswert ermittelten Gebäudesubstanz und Aufgehen in Energie-Genossenschaftsfonds.

                                              Installation gemäß mancherorts bereits vorhandenem oder noch begleitend zu erstellendem Solarkataster.

 

4 „Schwammstadt“:        Gegenprüfung und Abwägung von Dachflächen-begrünung und Solarnutzung in erweitert zu betrachtenden Versickerungsräumen. Entsiegelung“ und Begrünung mit entsprechenden Flächen- und Funktionsausgleichen im Stadt-/ Quartiersum-/ weiterbau.

 

5 „Starkregen“:                 Rigolensysteme als zusätzliche (Siedlungs-) Flächenentwässerung mit hoher Gefälleausbildung zu Seen und Überlaufbecken / Teichen mit Pflanzenklär-anlagen insbesondere in kleinteiligen hydrologischen Systemen zwischen Städten und Regionen.

 

6 „Leerstandskataster“:  Ermittlung von Leerständen durch Immobilienscouts und Kontaktieren der Eigentümer zwecks Ermöglichung rascherer Verhandlungsebenen für Um-/ Weiternutzung.

 

7 „Urbane Praxis“  als soziales Aktivieren der Bürgerschaften, um Top-down-Prozessen zwischen Bund, Ländern und Kommunen mit Bottom-up-Prozessen der Stadt- und Regionalentwicklung im Quartier entgegenzuarbeiten.

 

Pilotprojekt innerstädtisch:      Düsseldorf-Oberbilk  +  Düsseldorf-Flingern

                                                          Ca. 35.000 Ew.         + ca. 38.000 Ew.



Nachrichten


Die Dezentralisierung Europas                                                                             15.08.2024



1.       (Not-) WendeZeit oder ZeitNoten-(Wende) oder?


– so möchte man fragen in Anbetracht vieler Themen, die insbesondere auf die Mitte des „Alten Kontinents“ hier einzustürmen

scheinen. Fragen indes, die aber gleichwohl immer wieder dieselben Antworten von denselben Akteuren hervorbringen. Zumindest scheint auch dies unvermeidlich so zu sein. Muss es aber zwischen „Post“(-Moderne, -Kolonialismus, -Liberalismus, -Demokratie und mehr) und „Neo“(-Moderne, -Kolonialismus, -Liberalismus, - Demokratie und noch mindestens genauso viel) und vielen globalen und regionalen Konflikten zumal vor dem Hintergrund der globalen Erderwärmung so bleiben? Oder gibt es neben diesen Präfixen, die

als Label und Etiketten im alltäglichen Sprachgebrauch zumeist eher als „Kampfbegriffe“ verwandt werden auch ein über den Moment hinausweisendes Sein und Werden? Ist also die Peristase von Um- oder besser, in Hannah Arendts Duktus „Mitwelteinflüssen“ auf

die Organismen von Gesellschaften eine Stase im Sinne von Paul Virilios „Rasendem Stillstand oder wie vermag da auch eine

Anastase des „Alten Kontinents“ eine „Auferstehung aus Ruinen“ Europas zu bewirken? Einmal mehr oder weniger zu Beginn des zweiten Viertels des 21. Jahrhunderts?

Gleichwohl gibt es da auch viele sprachliche Auffälligkeiten, mithin also Fontanes „Irrungen, Wirrungen“, die kommunikative Falltüren und sich öffnende Schleusentore parat halten. Das Prozesshafte indes des (Fort-)Gehens und Handelns auf kommunizierenden Ebenen mit vielerlei Verwerfungen und Faltungen soll hier angerissen und weiterhin dezidiert umrissen werden.



2.   Planung, (Er-)Bauen und Antizipieren von Zukunft


Der Begriff der Zukunft erfordert hier in diesem Konnex zunächst eine kurze etymologische Herleitung. Das scheinbare Oxymoron

vom „Rasenden Stillstand“ des französischen Urbanisten und Begründers der „Dromologie“ Virilio als Lehre von der Verformung von Raum und Zeit durch Beschleunigung wird bei genauerer Betrachtung zwischen Schlagworten von nachgeordneten Post- und vorgreifenden Neo-Zuständen zur Paradoxie: Das abgeriebene Palimpsest dazwischen wird immer unkenntlicher zwischen

Ansprüchen der Progressivität einerseits und Forderungen nach Rückbesinnungen andererseits. Zukunft als Werden, als

„Noch nicht sein“ ist so nicht (mehr) ein Fenster der Möglichkeiten, das den Blick auf die Schaumkronen auf dem Strom

zwischen Vergangenheit und Gegenwart draußen öffnet, sondern verschlossene und eingetrübte Ortlosigkeit von „Nicht

möglich sein“. Peter Sloterdijks „zynische Vernunft“ erstarrt in der Dystopie verpasster „Lebenschancen“ im Sinne Max Webers:

die Haftung und Gewährleistung des Scheiterns der noch immer bedingungslos rechts und links und lechts und rinks

verfolgten Ideale des 20. Jahrhunderts kann und will keiner übernehmen. Kant, dessen „reine Vernunft“ Sloterdijk ja

ursprünglich im Blick hatte indes zielt ja auch auf einen anderen Kernbegriff Max Webers: den der „Lebensführung“.

In diesem Sinne muss eine realistische Perspektive auf Zukunft als „erbauendes Sein und Werden“ manuelle und geistige

Prozesse gleichermaßen beinhalten. Vor dem Hintergrund von „Polykrisen“ muss da also mit „Kopf, Hand, Fuß und Herz“

gehandelt und gearbeitet werden, wie es auch ein Aquarell von Paul Klee aus dem Jahre 1930 besagt.

 

Selbst der Aufbau eines einfachen Giebelzeltes gelingt besser mit vier Händen. Dafür ist auch ein planender Kopf erforderlich,

der die mindestens zwei linken Hände koordiniert. Ein generelles Prinzip aller „Neo- und Post-ismen“ indes ist die Geringschätzung

bis hin zur völligen Missachtung von manuellen Prozessen. Alle bevorzugen „White Collar Jobs“, also vermeintlich sichere (geistige) Bürotätigkeiten, während der Mangel allerorten bei produzierenden „Blue Collar Jobs“ in Handwerk und Industrie zunimmt.

Und letztlich vermittelnde „Grey Collar Jobs“ scheint man kaum oder gar nicht auf dem Schirm zu haben. Die vielen Töne und Schattierungen zwischen weiß über grau zu blau indes machen den Unterschied. Sie betreffen Produktions- und Arbeitsprozesse,

die letztlich auf vielfach tradierten und eingeübten Erfahrungswerten geistiger und materieller Art beruhen. Richard Sennetts

Definition von gutem „Handwerk“ als guter Arbeit per se:

                                                                                                  „Gute Arbeit leisten heißt neugierig sein, forschen und aus Unklarheiten lernen.“

von 2008 und Phill Niblocks (1933-2024) monumentales filmisches und Klang-Epos händischer Arbeit;

„The Movement of People Working“,

scheinen derzeit völlig aus der Zeit gefallen zu sein. Aus welcher Zeit mit welchen Notwendigkeiten indes? fragt sich unwillkürlich. „Digitalisierung“, die immer wieder als Allheilmittel propagiert wird und „Artificial Intelligence“ (AI oder KI) unterliegen auch den (Fehler-) Quellen / „Bias“ menschlicher Produktionskraft, Daniel Kahnemans Systemen von „schnellem und langsamen Denken“ zwischen „Plausibilitäten“ und „„kognitiven Verzerrungen“.  Sie werden vielfältige händische und geistige koordinierte Arbeitsprozesse zumal in Zeiten wie diesen nicht ansatzweise ersetzen können.

 

Zumal: der Ökonomie-Nobelpreisträger von 2002 Kahneman nennt „Ignoranz oder Faulheit“ als zwei mögliche Gründe für das Versagen von System 2, also langsamem, eher abwägendem Denken. Die Ökonomie-Nobelpreisträger von 2019, Esther Duflo und ihr Mann Abhijit V. Banerjee bezeichnen in „Poor Economics“ den globalen Süden betreffend „drei I’s“ als Hauptgründe für das Scheitern von Programmen zur Bekämpfung von Armut und damit einhergehender wachsender Ungleichheit: Ideologie, Ignoranz und Inertia, also Trägheit. Vielleicht kann man Irrationalität, die aber darauf besteht, einer rationalen Agenda zu folgen als „viertes I“ dem hinzufügen?



3.  Dezentralisierung als integrative Chance


Auch hier bedarf es erst einmal einer antithetischen Annäherung: In der Spätphase der „Globalisierung“ ist es der Preis alleine,

der den Produktionsstandort vorgibt. Das Problem indes dabei sind (immer mehr) immobile Güter und Menschen und die zu ihrer Bewegung wie zu ihrer Niederlassung erforderlichen Energien. Die Klüfte dort zwischen Angeboten und Nachfragen werden immer größer und die Rohstoffe für mobile wie immobile Güter und Menschen sind gleichfalls nicht im Übermaß allerorten vorhanden.

 

Auf der Ebene (nationalen) kulturellen Erbes war es zum Beispiel mit Stephen Harper in den 2000ern in Kanada ein ursprünglich

und eigentlich konservativer Regierungschef, der mit einer pragmatischen Anerkennung vergangenen Unrechts an den

Ureinwohnern des Landes dem Begriff der „First Nations People“ wirklich (wieder) ehrwürdigen und integrativen Sinn verlieh.

Die „Nation“ wird so als Bund ethnischer Volksgruppen definiert und erhält Sinn jenseits von überwiegend europäisch geprägten,

derzeit gängigen Populismen und ihren allzu häufig unilateral eurozentrischen Narrativen.

 

In Deutschland, in meinem Freundes- und Bekanntenkreis sind es primär Menschen mit südosteuropäischen und „vorder- bis südasiatischen“ Wurzeln, die mit solchen eher indigenen Nationenbegriffen umzugehen gelernt haben: Etwa Aleviten aus den

kurdisch / südostanatolisch / syrisch und irakischen Grenzräumen aber auch viele aus Ex-Jugoslawien, die früh im Zuge der vier Jugoslawienkriege in den 1990ern sich genötigt sahen, Teile ihrer familiären Identitäten abstreifen zu müssen: Serben, die auch

Familie in und aus Kroatien und der Herzegowina und anderen Regionen des Balkans haben, Bosnier, die auch Albaner und (Nord-)Mazedonier sind und so weiter und so fort.

Weiter über den Kaukasus nach Zentralasien ausgreifend: Armenier aus dem Bergischen, auch kölsche Qizlbash oder eben

afghanische Kölner, berberische Düsseldorfer, ost- und west-bengalische Rheinländer bis hin in die Provinzen Sylhetis wieder

aus dem Bergischen leben in einer ehrwürdigen Diaspora. Unter vielen anderen, die hier nicht genannt werden können.

 

Vielfältige Identitäten sind so etwas, was sich ganz selbstverständlich der hohlen Fassade des Populismus entgegenzustellen

vermag. Zumal die solchermaßen gelebten Identitäten „Post- und Neo-ismen“ und ihren scheinbar zwangsläufig revisionistischen Grundzügen gegenüber Gesicht zeigen. „Europa wird mestizisch“, wie Sami Nair 2010 im lettre international verkündete.

Vielleicht wird Europa einfach endlich einmal mehr europäisch? Und: was bedeutet das für europäische Organisationen und

für andere regionale und urbane Infrastrukturen?

 


4.       Dezentralisierung und (Un-)Gleichheit von Chancen


Während auch (bezahlbarer) Wohnraum mancherorts, insbesondere in urbanen Ballungsräumen zunehmend vom (privaten)

Freiraum zum Schutzraum nicht nur vor Wind und Wetter, sondern auch vor der nackten Obdachlosigkeit wird, denkt jeder

bei maroden Infrastrukturen in Mitteleuropa insbesondere in Deutschland zu allererst an Transport und Verkehr: ÖPNV und

die Bahn. Marode Autobahnbrücken, die niemals für Schwerlastverkehr ausgelegt waren, kommen den meisten als zweites

in den Sinn.

 

Wasser indes kommt für die meisten hierzulande zu allererst aus dem Wasserhahn.

Der Dürresommer 2018 indes und der „Jahrhundertregen“ 2021, der nach vielerlei fachlichen Einschätzungen im Zuge der fortschreitenden globalen Erderwärmung eher häufiger vorkommen und klein- und großflächige hydrologische Systeme

über die Ufer treten lassen wird indes verdeutlichen, wie potenziell vulnerabel wir auch dort sind. 

 

Henk Ovink, vormaliger Botschafter der Niederlande für internationales Wassermanagement sagte vor wenigen Jahren zu

Afghanistan, wo ich 2009 / 10 just an diesen Themen im Zusammenhang mit Altstadtregeneration in Kabul arbeitete, dass

ein Land wie Afghanistan „reich und arm zugleich“ an Wasser sei. Gilt diese Aussage auch für unsere hydrologischen

Systeme hier und Resilienzen und Vulnerabilitäten derjenigen, die Zugriff zu Wasserhähnen und die entsprechend

ausgelegten Durchflussraten der zuführenden Leitungen haben?

 

In welchem Verhältnis stehen die Sicherheit des Wohn- oder eben Schutzraumes und die Bereitschaft, sich auf den Weg zur „Klimaneutralität“ zu machen? Man muss dafür nicht alleine das „höchste Einfamilienhaus der Welt“, den 173 m hohen Turm des Ölmoguls Ambani im indischen Mumbai im Schatten einer Hochhaus-Investitionsruine betrachten, man kann auch auf den

Standort der letzten, 2018 geschlossenen Steinkohlezeche im Ruhrgebiet in Bottrop sehen, wo Burkhard Drescher,

Geschäftsführer der Innovation City Management GmbH, sagt:

„Klimaschutz kann nur dann gelingen, wenn er von unten organisiert wird“.

 

5.       Vom Globalen zum Planetarischen „Mindset“

 

Zum „bottom up“ jedoch muss auch die Bereitschaft für das „Top down“ viel stärker gefördert und motiviert werden. Alle

Systeme bedürfen synergetischer und integrativ optimierender Kleinarbeit bei Raum- und Zeitplanungen und pragmatischer Kopplungen der entsprechenden Regelwerke. Hoheits- und Gebietsansprüche von allzu häufig vereinzelt agierenden

Leuchttürmen verwalteter Macht indes scheinen genau in den Zwischenräumen zwischen „Post- und Neo-ismen“ stetig

gefangen zu sein.


Eine der Ausgangsthesen von Dipesh Chakrabarty in „Das Klima der Geschichte im planetarischen Zeitalter“ ist, dass

der Klimawandel per se lange Zeit Konsens unter letztlich sich aus vielen Einzelwissenschaften und ihren Datensätzen

speisenden Erdsystemwissenschaften war. Das einzig Strittige war die Geschwindigkeit, also der Zeitpunkt, wann

Erdsysteme irreversible Veränderungen zeigen würden. Veränderungen, die letztlich alle Formen des

Zusammenlebens von Menschen und anderen belebten Wesen und Dingen auf dem Planeten Erde bestimmen.

 

Was indes bedeutet diese kluge Zusammenfassung der Herausforderungen an Denken und Leben unter dem zunehmenden

Einfluss von Klimawandel / -krise, also anthropogen, „haus-gemachter“, vom Menschen / uns verursachter globaler

Erderwärmung von Seiten eines der Mitbegründer der „subalternen Wissenschaften“ aus Südasien für uns hier auf dem

„Alten Kontinent“? Zumal im Hinblick auf „Blue und Grey Collar Jobs“ und die Organisation von Handeln und Leben in

unseren und anderen Breiten und Längen, in Städten und Regionen?




6.       (De-) Zentralisierung und (De-) Provinzialisierung

 

Wie strittig alles indes ist, das verdeutlicht schon der Umgang hierzulande mit der chinesischen Immobilienblase. Das Foto hier

aus der schönen, rund 9 Mio. Einwohner zählenden Hauptstadt der Provinz Zhejiang, Hangzhou am seit 2011 als UNESCO

Weltkulturerbe anerkannten Westsee zeigt da verschiedene Phasen des Stadtausbaus: vorne eine Pagode mit Tempel, Siedlungen

mit 4-6 Geschossen daneben aus den 1950-60ern, 8-10 Geschosse im Block in der Bildmitte aus den 1970-80ern,  einzelne dichte Hochhäuser mit 10-20 Geschossen rechts von der Bildmitte aus den 1990-2000ern, hinten dann Siedlung und Gewerbe mit 20-30 Geschossen aus den  2000-2010ern.

 

Zur Immobilienblase hatte ich 05 / 2011 die ersten verlässlichen Daten durch einen Stadtplaner aus Boston, der auch zum

Beraterstab von US-Präsident Obama gehörte erhalten. 64 Mio. leerstehende Neubau-Wohneinheiten, wie ein Investigativ Team

des australischen TV-Senders SBS Dateline ermittelt hatte, hatten wenige Jahre nach der Subprime in den US eine unvergleichbare Sprengkraft. Die leerstehenden Gewerbeflächen waren dabei nicht einmal erfasst. Bevor ich selbst 11 / 2011 zur Vermittlung in

einem Städtebauprojekt zwischen deutschen und chinesischen Partnern nach Hangzhou flog, kontaktierte ich eine befreundete japanische Bänkerin in Tokyo, die rund 10 Jahre lang Risikoanleger dort im chinesischen Immobilienmarkt beraten hatte. Sie

verglich denn auch die Datenlage mit einigen Eckdaten beim Platzen der japanischen Immobilienblase 1990. Harte oder weiche Landung nun, das alleine war die Frage. In Anbetracht der „globalen Verflechtungen und Abhängigkeiten“ auch der deutschen Automobilindustrie erübrigte sich diese bald. Inzwischen hat die chinesische Bauindustrie einen Anteil von über 25% des BIP.

In Nippon 1990 wies die dortige Bauindustrie rund 30 % GDP-Anteil auf.

 

Spätestens mit der russischen Invasion in die Ukraine wird auch die hiesige Berichterstattung zur chinesischen Immobilienblase offensiver. Ein Wirtschaftskrieg und ein heißer Krieg, der nun auch in Europa verstärkt weiter ausgefochten wird. China als Partner Moskaus gerät da auch ins Visier.

 

Andererseits hat Altkanzler Helmut Schmidt noch 2008 „China als gigantisches Experiment“ bezeichnet. Der letzte geopolitisch

versierte und entsprechend in Krisenzeiten auch als solcher handelnde Kanzler der alten Bundesrepublik wusste durchaus,

wovon er sprach. Trotz seiner engen Partnerschaft mit der chinesischen Führung indes verlor er die deutsche Wehrhaftigkeit

nie aus den Augen. Letztlich standen bei beiden sozialdemokratischen Kanzlern, Brandt und Schmidt und ihren Winkelzügen einheimische Interessen immer im Vordergrund.

 

Alleine an der mittel- und langfristigen Wasserversorgung der damals, 2009 / 10 am schnellsten wachsenden Stadt Zentralasiens,

der afghanischen Hauptstadt Kabul ist der globale Konflikt zwischen China und der „internationalen Gemeinschaft“ des Westens zwischen der Hauptstadt und der angrenzenden Provinz Logar auch im Hinblick auf strategische Rohstoffsicherheit beim

Umbau zur „Klimaneutralität“ darstellbar. Mit allen Tücken und Folgeschäden, auch für das afghanische Volk, das reiche

kulturelle Erbe dort und seine Sicherheiten.

„Disruptive Perspektiven“, die in Europa einmal mehr zwischen westlichen und östlichen globalen Interessen nicht wirklich

thematisiert werden. Das Planetarische einer gemeinsamen Mitwelt, die letztlich auch von rund 100.000 Soldat*innen der

Bundeswehr 2001-2021 gesichert wurde, scheint da niemanden wirklich zu bewegen.

 

Wenn aber in Folge von privaten Brunnenbohrungen und Übernutzung von Wasser zumal vor dem Hintergrund der globalen Erderwärmung der Abwasserkanal für schwarzes und graues Wasser über dem Brunnen am Ufer des Kabul-Flusses liegt,

aus dem da jemand (Trink-)Wasser pumpt und dazu dann bald aus Tiefbrunnen in der benachbarten Bergprovinz mit Arsen

und anderen Schwermetallen angereichertes Wasser kommt, dann konterkariert das nicht nur die 17 hehren SDGs der UN.

Es zeigt vielmehr, dass Rohstoffkonflikte zwischen Neo- und Post- vielerlei koloniale Elemente in sich tragen. Von westlicher

wie von östlicher Seite.

 

 

7.       Transversale Prozessbildung und Dezentralisierung

 

Die Frage der „Bewohnbarkeit“ von Orten auf dem Planeten entfacht zwangsläufig auch Fragen nach der physischen und

also baulichen Dimension menschlicher Entitäten und ihrer Behausungen. Und damit nach (Rechts-) Ansprüchen und

Wirklichkeiten. Rechtsansprüche auf Boden und Raum im Allgemeinen also der 17 SDGs der UN und im Besonderen:

jeweils vor Ort.

 

Der lateinische Terminus „Interesse“, das „dazwischen sein“ ist in diesem Zusammenhang in seiner etymologischen Herleitung

ähnlich wichtig wie das „transversale“ als „quer liegend“, aber auch im Akt des „hinüber drehend“ und „wendend“ Befindliche

und der „Prozess“ als Vorgang des Herausbildens von etwas. Ein Interessenskonflikt entsteht also dadurch, dass ein materielles

oder immaterielles Gut für mehrere Personen oder Gruppen, mithin also insbesondere für „Städtebauprozesse“ im weiteren

Sinne von Renée Tribble beschriebenen „Akteurssphären“  „von Wichtigkeit“ ist und „Nutzen“ und „Vorteil“ bringen soll.

 

Die Übertragung dieser Sachverhalte auf Architekturen und Städtebau, also Prozesse des Planens und Bauens per se

verdeutlicht bei einem Anteil der Baubranche von zuletzt, 2020 in Bestand und Neubau 38% des globalen CO2Fußabdrucks,

dass es da vieler verschiedener Verknüpfungen und Betrachtungsweisen bedarf, um die Themen wirklich konsensfähig

händelbar zu machen.

 

Dies erfordert (Vor- und Rück-) Besinnungen auf die kommunale Ebene, Neuformationen genossenschaftlicher Organisationen

und Quartiersmanagement als integrativ vermittelnde Kraft. „Klimaneutralität bei Planung und Bauen“ von Frei- und

Schutzräumen vermag insofern auch zwischen Blau und Grau zu vermitteln und wesentliche Impulse für das Finden von

Antworten auf die drängenden Themen unserer und zukünftiger Zeiten zu geben. In „entwickelten“ ebenso wie in „sich

entwickelnden“ Staaten und sie beheimatenden Nationen und Gesellschaften im Dia-, Tria und Polylog. Für diesen indes

bedarf es eben auch dieser Form der Dezentralisierung Europas als Lebenschance für eine weiter mögliche Lebensführung.

Im multinationalen Kontext der „Entwicklungszusammenarbeit“ bedarf dies endlich auch der Anerkennung des imperialen

und kolonialen Erbes der „internationalen Gemeinschaft“ des Westens. Wenn multinationale (vorwiegend westliche)

Bergbaukonzerne die Wasservorräte ganzer Städte und Regionen auf der Suche nach Lithium, Kupfer, seltenen Erden

und anderen insbesondere zur „Klimaneutralität“ erforderlichen Rohstoffen und Arbeitskraft und Gesundheit der

Menschen vor Ort plündern, dann sind sie nicht besser als die vielfach gescholtenen Projekte der chinesischen

„Neuen Seidenstraße“. „Wertegeleitete Außenpolitik“ muss auch das thematisieren, um nicht in die Fehler des

20. Jahrhunderts zurückzufallen. Die Einbindung von Rohstoffgewinnung in Verfahrenstechniken zu entsprechend

„nachhaltigen urbanen und regionalen Wasserwirtschaften“ indes vermag auch zu einer alle Seiten bereichernden „Einwicklungszusammenarbeit“ geführt werden, um hier einen Terminus von Bruno Latour zu verwenden, der fein

zwischen „développer“ und „envelopper“ im Französischen unterscheidet.

 

Die Dezentralisierung Europas ist also ein multilateraler und nach innen wie nach außen wirksamer Vorgang, der viel

Wachheit und dezidierte Steuerung erfordert. Es geht dabei auch darum, vermeintlich gewisse „Naturgesetze“ neu in

ihrem wirklichen vielfältigen kulturellen Kontext zu betrachten und im Prozess des Handelns aus- und umzuwerten.

Infrastrukturen und damit verbundene Rechtsansprüche und Rechtswirklichkeiten sind nicht per se gesetzt. „Dorfartige Agglomerationen auf urbanem Grund und Boden“ unterliegen genauso wenig hedonistischen Grundgesetzen

wie Menschen und Dinge nicht in unabänderlichen, per Gesetz festgeschriebenen „Post- und Neoismen“ oder gar

„Post-Post- oder auch Neo-Neoismen gefangen sind.

 

Letztlich geht es darum, kleinteilige Systeme und damit verbundene Besitztitel zum Kommunizieren zu bringen und

besser zu vernetzen. Das „Gemeinwohl“ ist auch ein zwischen den Generationen und Ethnien vor Ort auszuarbeitender

Begriff. Eine Chance, Handlungsrahmen neu zu definieren und damit auch Prosperität und Klimaneutralität zu verknüpfen.

Um Interessensausgleiche auf- und Zukunftsängste abzubauen bedarf es vielfältiger und vielschichtiger Vertrauensarbeit

in dezentral organisierten kommunalen Räumen mithilfe konkurrierender föderaler Gesetzgebungen innerhalb der

entsprechenden Ermessensspielräume. Ob Europa, insbesondere Deutschland dazu bereit ist, das wird sich zeigen.

 

 

Fotos vom Verfasser. Paul Klees Aquarell hängt auch in der K 20, Düsseldorf.









Meine Arbeit am Hindukusch 2009 / 10 als Ausgangspunkt für Betrachtungen zu

GLOBALE KONFLIKTE, ERDERWÄRMUNG

und die BEWOHNBARKEIT von

                                          STÄDTEN und REGIONEN


(My work at the Hindu Kush 2009 / 10 as starting point for reflections about

GLOBAL WAR (ming) and HABITABILITY of

CITIES and REGIONS)



1.  Kalter und heißer Krieg, Konflikt – Post-Conflict: Afghanistan 1979-, Ukraine (2014)2022-

                                                                                                                                                          (Auszug S.4, 12 / 69)

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2.  Städtebau, Stadtbaugeschichte – Infrastrukturen, Landeigentum

                                                                                                                                  (Auszug S. 19, 21 / 69)

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3. Nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung und interdisziplinäre Ansätze - 

    Gegenüberstellung von Quellen: Ein-, Zu- und Abflüsse

                                                                                                                               (Auszug S. 27, 38 / 69)

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Afghanistan und der Globale Krieg

(ein neo-imperialer geopolitischer Konflikt mit wechselnden Stellvertretern in verschiedenen Rollen mit wechselnden, bisweilen diffusen Interessenlagen und entsprechender Verstetigung des Konfliktes an einer der wichtigsten Schnittstellen der neuen Verteilungskämpfe vor dem Hintergrund der fortschreitenden globalen Erderwärmung )


Die Ukraine und der post-sowjetische Krieg

(ein neo-imperialer Zentrum-Peripherie-Konflikt zwischen der Machtzentrale und als Satelliten beanspruchten peripheren Regionen, der Ost-Europa einmal mehr destabilisiert und zudem die Gefahr der Verstetigung aufgrund der Totalität des Ereignisses und der entsprechenden starren Frontenbildung im unilateralen Sinne in sich trägt. Auch hier geht es zudem um
neue Verteilungskämpfe vor dem Hintergrund multi- oder unilateraler Macht- und Hegemonialansprüche und den entsprechenden hybriden Narrativen der geschichtlich hergeleiteten Dominanz)



4.  Resilienz und Vulnerabilität im globalen Kontext


5.  Synopsis und Ausblicke 1:

     WASSER: Kulturelles Erbe, Vulnerabilität und Resilienz

     Konflikt- und Nachkriegsstädte und -regionen, Nationalstaaten 
     und Klimapolitik: Vom Scheitern zu Transformationen

                                                                                                                                     (Auszug S. 50 / 69)



6.  Interdisziplinäre Koordination zur Transformation von 

     Gesellschaften in und mit ihren gebauten Umwelten 

                                                                                                                          (Auszug S. 54 / 69)


7.   (Konflikt und Transformation von und zwischen Menschen und ihren (Stadt-) Landschaften)

     Globale Konflikte, Erderwärmung und die Bewohnbarkeit von

        Städten und Regionen 

   

     Global War (ming) And Habitability of

                                           Cities and regions

                                                                                                                                (Auszug S. 59, 61 / 69)

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Globale Konflikte, Erderwärmung und die Bewohnbarkeit von Städten und Regionen (Global War (ming) and Habitability of Cities and Regions)____________________ (genereller Zusammenschnitt von 7-10+ Vorträgen)_________________________download


Wie jeden Sommer kuratierte mein Freund André O. Möller im Rahmen der "wandelweiser-wochen"
von Antoine Beuger eine Woche lang Kunstraum bzw. 
jazz-schmiede, himmelgeisterstraße 107g, 40225 düsseldorf. 

André nannte meinen Programmpunkt in "incentive incidents V" zuerst "performance", dann "lecture with slide show":

 

Sa. 22.07.2023, 20:00. Davor klassische Gitarre von torsten töpp, danach ein Trio von André, Torsten und Carter Williams - 2 E-Gitarren und Viola d`amore und dann noch eine weitere Performance von Fjodor Gladilin. Also: schön "embedded". 

Es war das erste Mal, dass ich in dieser Form über meine Arbeit am Hindukusch berichtete.
Bei "ESG's" geht's ja um die Verknüpfung von Umwelt, Sozialem und "Governmental", Politischem Handeln
im weitesten Sinne. Das (Max) Weber Paradigma sieht den Brückenbau zwischen Natur-, Kultur- und
Geisteswissenschaften vor. Insofern ist für Architekten und Stadtbaugeschichtler genauso wie für
Soziologen und politisch Verantwortlich Tätige und für alle Interessierte wieder im erweiterten Sinne
sicher manches darin. Letztlich handelt es sich aber um den Grundstock für 7 bis 10+ Vorträge, resultierend
aus nach Rückkehr aus Afghanistan im Sommer 2010 gemachten Nachforschungen,
die weiter zu vertiefen sind.


"Afghanistan? Ist doch eh verloren!"

So oder ähnlich wird manche(r) denken (gedacht haben) bei dieser Ankündigung. 

Aber der näher gelegene Kriegsort nun:

welche Ähnlichkeiten (kulturellen, post- / anti-kolonialen und / oder entsprechend -imperialen)
Erbes weisen "Orte in Zwischenräumen" wie Afghanistan und die Ukraine auf?

 

1. Teil der "lecture with slide show":

Kalter und heißer Krieg, Konflikt – Post-Conflict: Afghanistan 1979-, Ukraine (2014)2022-

Was ist davor, was ist danach und vor allem: was hat das mit uns zu tun?
Geno-, Geo- / Ökozid als logische Folge(n)?
Migration, Exodus, Beschleunigung: Krieg: Beschleunigung, Exodus, Migration von wo und wohin?
Oder: wie tragfähig und wie weit ausgreifend ist verbrannte Erde?


Das wird hoffentlich nicht die letzte "Performance", die letzte "Lecture with Slide-show" dieser Art sein.

Und natürlich hoffe ich, dass wir das ein anderes Mal dann auch filmen können.
Auch für diejenigen, die etwas weiter weg sind. 



Zivile und bewaffnete Sozialarbeiter und "Die Geographie des Selbst"

Zu Übertragbarkeit und Vermittlung von (empirischem) Wissen.
Heike Groos (1960-2017) als fünffache Mutter, Bundeswehr-Stabsärztin und vier Mal in Afghanistan hat in ihrem zweiten
Buch
"Das ist auch Euer Krieg – Deutsche Soldaten berichten von ihren Einsätzen" mit Vorwort von Roger Willemsen (1955-2016)
s
o wie Eugene B. Sledge (1923-2001) mit seinem 1981 veröffentlichten Marines-Tagebuch "With the old Breed (Vom alten Schlage)"
aus dem US-japanischen Pacific War Theatre auf Peleliu und Okinawa 1942-45 Tabus gebrochen. 


Als (ziviler) Veteran obliegt es mir, andere Themen aufzuwerfen und tiefer zu schürfen als Politik und Medien dies gemeinhin tun.
Im Einsatzhandbuch der US Army von 2006, inmitten des „Kriegs gegen den Terror“, insbesondere in Afghanistan und Irak hieß es,
Soldaten sollten sich selbst als „Sozialarbeiter, Ingenieur, Schullehrer, Krankenpfleger, Pfadfinder“ betrachten und sie sollten alle
als „Erbauer von Nationen wie auch als Krieger“ agieren. Um welche Art von Kriegen handelt es sich also wo und wie und:
wo und wie stehen wir selbst darin? Im zeitlichen wie im räumlichen Sinne zudem. Welche Symmetrien und Asymmetrien
zumal in den jeweiligen Zielsetzungen der Gegnerschaften herrschen in "Globalen Kriegen" des 21. Jahrhunderts? 
Und: was bedeutet das für das "Post-Conflict Theatre", "Transitional Justice" und "Sustainable Rebuilding Processes"?

Bei diesen Themen stehen wir erst am Anfang. Aber: diesen Anfang sollten wir erst einmal realisieren.
Nicht nur, aber auch in Afghanistan und der Ukraine. Neben vielen anderen Orten, die schon in verstetigten Konflikten
gefangen sind oder immer mehr dahin abzugleiten drohen. 


Allen Veteranen der Kriege der letzten Dekaden, so sie noch leben,

um so mehr ihren Angehörigen sei dies gewidmet.
Ganz besonders einmal mehr zudem dem afghanischen Volk, den Menschen Afghanistans.


Für mich persönlich ist das Erforschen der Dinge und der Interaktionen von und zwischen Menschen, ihren Orten und
Regionen, also Lebensräumen im weiteren Sinne so etwas geworden wie eine Obsession. Negativ. Positiv, um es mit
den Worten eines guten Freundes zu sagen, den ich vor Kurzem in Paris nach 13 Jahren wiedergetroffen habe:

"Die Geografie des Selbst erfordert das". 




Equity  vs.  EQUALITY                 


03 / 2023



Diese Website hatte länger den Titel „Water Equity and Dignity“.
Dann entdeckte ich in Adom Getachews Buch
„DIE WELT NACH DEN IMPERIEN –
AUFSTIEG
UND NIEDERGANG DER POSTKOLONIALEN SELBSTBESTIMMUNG“ (1)

die exakt in diesem Zusammenhang hergeleitete Übersetzung von equity = Billigkeit und Angemessenheit,
die insofern einen krassen Gegensatz zu equality = Gleichheit darstellt (2).


Zudem zeigt Adom Getachew auf, dass dieser Irrtum Jan Smuts, letztlich einem der

schärfsten Begründer der südafrikanischen Apartheid auch im Zuge der Ausarbeitung

seiner politischen Theorien nach dem 1. Weltkrieg gleichfalls so unterlaufen ist. Ob dies

seinerzeit beabsichtigt oder unbeabsichtigt geschehen ist, das sei hier dahingestellt.

Fakt ist, dass Smuts auch im Völkerbund einer der schärfsten Protagonisten der

Rassentrennung war, die der zudem weit über Südafrika ausdehnen wollte (3).


Adom Getachew beschreibt da eine markante Pointe der Etymologie der Worte

Equity und Equality. Als nicht Mutter- oder Vatersprachler Englisch muss ich vor

dieser präzisen Herleitung der Begriffe in diesem Kontext den Blick senken und

Adom und dem Übersetzer ihres Buches, Frank Lachmann dafür danken, dass sie

diese Herleitung so präzise herausgestellt haben.


Gleichwohl ist der amerikanische Titel „WORLDMAKING AFTER EMPIRE“ mit

seinem bewusst gewählten kosmopolitischen Ansatz, den Adom Getachew auch

den Vordenkern des Postkolonialismus insbesondere nach dem 2. Weltkrieg

zuschreibt im Deutschen eher schwach übersetzt. Wie dem auch sei:

Mensch bleibt Mensch, die Hautfarbe hat da nichts zu sagen (4).



Anmerkungen:

  1. Hier eine Sammlung von Rezensionen zu dem Buch der in Chicago lehrenden
    äthiopisch-US-amerikanischen Politikwissenschaftlerin:

    https://www.perlentaucher.de/buch/adom-getachew/die-welt-nach-den-imperien.html
     
    und ein Interview im österreichischen Standard:

    https://www.derstandard.at/story/2000142178645/politologin-adom-getachew-ueber-ausbeutung-und-beherrschung?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE
  2. Getachew, Adom – “Worldmaking after Empire: The Rise and Fall of Self-Determination”; 
    Princeton University Press, 2019. (“Die Welt nach den Imperien. Aufstieg und
    Niedergang der postkolonialen Selbstbestimmung”; © Suhrkamp-Verlag, Berlin 2022, S. 102).
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Jan_Christiaan_Smuts
  4. https://press.princeton.edu/books/hardcover/9780691179155/worldmaking-after-empire






„Den Krieg vom Ende her Denken“ und der „Globale Grüne New Deal“


Orte des Übergangs und an den Rand gedrängte Orte: Afghanistan und Ukraine

Der Wiederaufbau des Lebensnotwendigen zur würdevollen Weiterführung
menschlichen Lebens in einer möglichen Zukunft



08. Mai 2022


1.  Persönliche Histologie

2.  Ukrainische und afghanische Perspektiven 1:
     Parallelen und Unterschiede bei der transitorischen Randlage

3.  Ukrainische und afghanische Perspektiven 2:

     Prämissen für den Weg von „Conflict- zu Post-Conflict“, also zu Nachkriegsordnungen

4.  „New Deal“, „Manhattan-Project“, „Marshall-Plan“
     und andere historische Notwendigkeiten heute
     vom Anfang und vom Ende her gedacht

5.  Interimslösungen für zeitgeschichtliche Verwerfungen
     im 21. Jahrhundert und darüber hinaus



 

1.  Persönliche Histologie

 

Viele Stimmen werden laut, viele Weckrufe sind zu vernehmen in diesen ersten Frühlings- und späten Wintertagen 2022. „Zersplitterte Realitäten“ oder: bruchstückhafte Wege der Wahrnehmung von „Wahrheit“ und „Fakten“ überlappen einander. Der Krieg und seine vielfachen gefährlichen Realitäten sind weder in „post-postXy-modernen” Erzählweisen vorhersehbar, noch gibt es da viele Möglichkeiten für Ausblicke auf „Nachkriegs-Szenarios“. Diese indes erfordern sowohl zurückblickende Voraussicht und Einblicke als auch Bewegungen aus der Blackbox des Kriegsgeschehens selbst heraus. Das Denken um verschiedene Ecken herum. Der Austausch verschiedener Erfahrungen. Und: den Zusammenhalt. Solidarität. Verstärkte Brüder- und Schwesterlichkeit. Respekt eher als Angst.

 

„Den Krieg vom Ende her Denken“ ermöglichte der Familie meines Vaters, den 2. Weltkrieg halbwegs gesund zu überleben. Sieben Kinder durch die „beschleunigte Veränderung“, die da Krieg genannt wird und durch die sie hinein gezwungen waren zu bringen. Ist die Gesellschaft, sind wir fähig, diesen Bedrohungen durch diese „beschleunigte Veränderung“ wieder zu widerstehen? Wie können wir den Frieden bewahren? Und: wie können wir Frieden auch in und mit unserer Nachbarschaft erhalten? Wo beginnt diese Nachbarschaft, wo endet sie? Wo steht die Menschheit an diesen Tagen?

 

Mein Großvater platzte beim Abendessen der Familie am Küchentisch 1936 heraus: Dieser Hitler war ein Wahnsinniger und die ganze Sache würde in einer Katastrophe enden. Er wies meinen Vater an, der im selben Jahr geboren wurde, niemals den rechten Arm zu heben zum Gruß für jemanden, der behauptete, ihm übergeordnet zu sein. In diesem Falle der örtliche Gauleiter. Wie in jeder größeren Familie besonders in bewegten und armen Zeiten wurde mein Vater in erster Linie von seinen älteren Geschwistern groß gezogen. Zwei Schwestern. Eine Tante erzählte mir von der Szene am Küchentisch 1936 kurz bevor sie und ihr Gedächtnis endlich der Alzheimer-Krankheit erlagen. Sie selbst war eigentlich schon verwitwet, bevor sie kurz nach dem 2. Weltkrieg heiraten wollte.

 

Die Familie meiner Mutter indes war das genaue Gegenteil. Der Großvater, den ich auch in meinem „realen“ Leben kennenlernte „begrüßte den Führer“ von Anfang an. Als armer Mann, der dieselbe oder gar noch größere Armut insbesondere nach dem Börsencrash 1929 auch für seine noch nicht gegründete Familie befürchtete, sehnte er sich nach „Veränderung“. Als Kind verspürte ich immer ein gewisses Mitleid mit diesem gebrochenen Mann. Besonders, als ich als sechsjähriger einmal meine Oma in einem schwachen Moment fand. Einmal mehr das Haus und seine vergrabene Geschichte schwer auf ihren Schultern lastend. Und den Schmerz, den der gebrochene Mann auf ihr und ihr großes Herz lud spürend.

Ob dieser Mann, mein Großvater wirklich die örtliche Synagoge im Jahre 1932 angezündet hat, wofür er nach dem 2. Weltkrieg angeklagt wurde, ob er dies alleine tat oder ob er gezwungen wurde, ein Bauernopfer für einen anderen „willfährigen Vollstrecker“ zu bringen, der bald nach dem, was die Amerikaner einfach „The War“ – „Der Krieg“ nennen seine persönliche Karriere oben in der örtlichen Verwaltung weiterverfolgen konnte: ich weiß es nicht.

Er wurde wegen Kriegsverbrechen angeklagt und verbrachte rund 10 Jahre in belgischer und französischer Gefangenschaft bis Mitte der 1950er Jahre. Meine Oma hielt die Familie und alles zusammen. Und mein Großvater behielt diese Geheimnisse in seiner zerbrochenen Erinnerung. Und diese wurden gemeinsam mit ihm irgendwann einmal in seinem Grab beerdigt.

 

Mein anderer Großvater arbeitete bis zu seinem viel zu frühen Tod 1963, acht Monate vor meiner Geburt auf einer nahe gelegenen US-Luftwaffenbasis. In den 1950ern gingen GI’s im Elternhaus meines Vaters abends ein und aus. Sie lernten Deutsch mit Großvater und er lernte und verbesserte sein Englisch. Mein Vater indes hat niemals richtig Englisch gelernt. Aber er hat mich gelehrt, reichlich „Menschenkenntnis“ und „Lebenserfahrung“ zu sammeln.

 

Die „Neurosen und Schrulligkeiten“ unserer Eltern, Mütter und Väter, Tanten und Onkels, der nun auch schon zusehends aussterbenden „Aufbaugeneration“ werden in ihrer doch so nahe gelegenen Distanz auch im Zuge der „Aufarbeitung von Geschichte“ kaum als das gewürdigt, was sie auch sind: Ausdruck von Widerstandsfähigkeit und in diesem Sinne auch „Resilienz“ gegenüber dem Einsturz von Weltgebäuden, den sie in ihrer frühen Kindheit und Jugend miterleben mussten.

 

Was bedeutet der Begriff „Nachhaltigkeit“ im Angesicht der Zerstörung eines nahe gelegenen Landes? Was bedeutet das für „Infrastrukturen“ und andere Netzwerke, die menschliche Gesellschaften aufrechterhalten: Familien, Individuen, Haushalte, Nachbarschaften in Städten und auf dem Lande?

Manche sagen, Despoten und Rückwärtsdenker, die Soldaten in den Krieg schicken, handeln völlig rational und folgen dabei einer gradlinigen Strategie. Manche sagen, sie handeln komplett irrational. Keiner – kein Soldat, der da als „Kanonenfutter“ gebraucht wird, kein Zivilist, deren Lebensgrundlagen da zerstört werden, keine(r), der oder die da in der Falle des Krieges und seinem zumeist rückwärts gerichteten Beschleunigungsmoment gefangen ist, ist an dieser Frage wirklich interessiert. Familien versuchen, sich selbst und ihre eigenen nackten Leben zu schützen. Die Zukunft selbst schrumpft dann in wenige Augenblicke. Ewige Momente des Schreckens. Und kurze Augenblicke wärmender und tröstender Erleichterung. Der Sicherheit. Der Liebe. Der Sehnsucht nach dem Schutz im Bauch der Mutter vor der eigenen Geburt. 

 

Historiker stellen komplexe Sequenzen und Ursachen und Wirkungen in zeitgeschichtliche Zusammenhänge. Politiker denken ihre Gedanken und sprechen manches davon aus. Wissenschaftler kombinieren ihre Dinge. Experten und Nicht-Experten. Wer sorgt für den Tag, nachdem die Bomben gefallen sind, während Raketen und Marschflugkörper immer noch die Zeit nach vorne und nach hinten bewegen? Wer sorgt für den Wiederaufbau gegenüber sogar viel stärkeren Bedrohungen, wenn Gewehre leichter auf dem Markt zu erwerben sind als Wasser und Brot? Wir sollten das tun. Jetzt.

 

Krieg ist immer grausam. Menschen verlieren ihr Heim. Ihre Liebsten. Ihr eigenes Leben. Aber auch der Begriff „Krieg“ selbst hat viele Facetten und viele Ebenen. Für die meisten Franzosen ist er etwas völlig anderes als für die meisten Deutschen. Für die meisten Russen besonders in diesen Zeiten bedeutet das etwas ganz anderes als für die meisten Bürger der Ukraine. Für Spanier bedeutet Krieg etwas anderes als für Finnen oder Polen. Nicht zu vergessen Kurden, Iraker, Libanesen oder Israelis oder Afghanen. Oder US-Amerikaner und Kanadier. Und so weiter. Wir müssen den Nebel des Schreckens des Krieges erst einmal durchdringen. 


Den Krieg vom Ende her Denken bedeutet, seinem Ende entgegen zu arbeiten. Dieses „Ende“ aber auch in mehreren Phasen und Varianten und entsprechenden Handlungsweisen gemäß „Plan A, B und C“ zu denken. Um so das Überleben von Hoffnungsschimmer in den Trümmern um uns herum zu ermöglichen. Die Ruinen also schon vorher auswerten. Wie können wir die Erinnerungen lebendig erhalten, ohne unsere Würde zu verlieren? Wie können wir die Dinge wieder aufbauen mit den dazu gehörenden Erinnerungen ohne von Schmerz und Zorn überwältigt zu werden? Wie können wir gar Hoffnung und Erleichterung wieder gewinnen beim Neu-Aufbau unserer Schutzräume? Wie können wir diese nachhaltiger ausbilden innerhalb dieses Regenerations- und Wiederaufbauprozesses? Wie können wir dabei resilienter werden?

 

Mitte der 1980er Jahre kaufte ich einen Druck eines großen Gemäldes eines französischen Malers in seinem Atelier in Vezelay in Burgund. „Homage à Allende” beschreibt die wachsende Hoffnung des chilenischen Volkes in Zusammenhang mit ihrem gewählten Präsidenten in den frühen 1970er Jahren und den Weg dann zur Zerstörung dieser Hoffnung. Krieg und der kurze Moment des Putsches waren als „das Biest“ abgebildet, das mit seinem plötzlichen Angriff jeden überraschte. Der Maler und Dichter der fünf Verse, die die fünf Leinwände der Serie beschreiben, Serge Jamet unterschrieb meinen persönlichen Ausdruck mit der Widmung, er sei sicher, dass ich, würde ich eines Tages mit einer solchen Situation konfrontiert, das Erwachen des Biestes bemerken würde. Und dass ich entsprechend handeln würde.

 

Es ist wirklich belanglos, wenn und für welchen Moment Historiker oder andere Wissenschaftler den Beginn des 3. Weltkrieges festlegen wollen. „Das Biest“ wird dann schon sehr häufig an vielen Orten geweckt worden sein. Und die an entfernten Orten lebenden Menschen werden eher irritiert „den Ort des erwachten Biestes“ aus sicherer Entfernung betrachten.

 

Auch der 2013 emeritierte Prof. em. der osteuropäischen Geschichte, Karl Schlögel, spricht in seiner Stadtbetrachtung zu Lemberg / Lwiw / Lwow aus dem Jahre 1988 vom „dreißigjährigen Krieg, der 1914 begann und 1945 zu Ende ging“. Die „Auflösungssequenz“ des im heutigen Polen und der West-Ukraine gelegenen Galiziens und des urbanen Zentrums Lemberg darin ordnet er also einem historisch ganz anders betitelten Ereignis zu. Ein „historisch inkorrekter rhetorischer Griff“, der die Dramaturgie der Ereignisse an diesem zuletzt so marginalisierten Brennpunkt mittel-oder osteuropäischer Geschichte unterstreichen soll. (1)

In Zusammenhang mit Czernowitz sagt Schlögel gleichfalls 1988: „Man möchte in das Czernowitz jenseits der Weltkriegszeit des 20.Jahrhunderts zurück, Kontakt aufnehmen mit dem Gemeinwesen, dessen Bauten ja noch dastehen.“ (2)

 

Die Aussage des früheren deutschen Verteidigungsministers Peter Struck vom März 2004 zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, dass „die Sicherheit Deutschlands am Hindukusch verteidigt werden würde“, löste damals heftige Diskussionen und viel mehr Abwiegelung als Zustimmung in der Bevölkerung aus. Das pointierte Statement lässt vielerlei Interpretationsraum. Der Fokus auf die „Freiheit“ auch in darauffolgenden hitzigen Diskursen vernachlässigt tendenziell einmal mehr die anderen beiden Grundwerte der Französischen Revolution als „zentrales Ereignis der Aufklärung“: „Gleichheit“ und „Solidarität“, bzw. „Brüderlichkeit“ und „Schwesterlichkeit“. (3)

 

 


2.     Ukrainische und afghanische Perspektiven 1:
        Parallelen und Unterschiede bei der transitorischen Randlage

 

Krieg hat immer eine lange schleichende Vorgeschichte. Die Brüche, die letztlich zu Rissen in den Erzählungen werden, sind lange geschürt worden. Versuche, diese Risse zu überbrücken, scheitern irgendwann genauso wie die Bereitschaft zur Gewalt auf subtilste Weise im Verborgenen wächst. Das gängige Schema des „Opfer-Wettstreits“ legitimiert irgendwann den Angriff. Boden- und Territorialgewinne werden dann schnell instrumentalisiert und gegenüber dem Gegner und dem eigenen Volk im Hinterland legitimiert. Die eigenen Untaten werden durch die Untaten des Gegners, die im Licht des Rechtsbruchs be- und verurteilt werden sollen nicht nur relativiert, sondern vielmehr ist es so, dass die eigenen Untaten stetig begründet und innerhalb jeglichen Menschen-, Völker- oder Staatsrechts dargestellt werden, die des Gegners bedingungslos außerhalb dieser Rechtskanone. Das „Recht“ kann im Krieg nur auf einer Seite sein. Und – „natürlich“ sind Zivilisten und die ihre „Daseinsvorsorge“ sichernden vielfältigen „Infrastrukturen“ die ersten Angriffsziele.

In „Vielvölkerstaaten“ sorgen zudem die vielfältigen Erzählweisen über Vergangenheit und Gegenwart bis hin zu Versprechungen für die Zukunft oft „des einen auserwählten Volkes“ in irgendeiner (Um-) Deutung für reichlichen sozialen Sprengstoff. Dies umso mehr, als auch einmal mehr Rechtsbegriffe und ihre Zuordnungen wie „Nationalstaat“ und „Völkerrecht“, bzw. das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ und viele mehr aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg stammen. Ganz speziell jedoch in ihrer Anwendung klaffen (Rechts-) Anspruch und (Rechts-) Wirklichkeit da für immer mehr Menschen und ihre Völker weit auseinander. Entsprechend groß ist die Schutzlosigkeit von menschlichem und materiellem, im erweiterten Sinne also kulturhistorischem Erbe im Kriegsfall.

 

Beide Länder, die Ukraine und Afghanistan vereint eine lange Geschichte des Krieges, der Eroberung und der versuchten Fremdbeherrschung im 20. Jahrhundert und jetzt erneut.

Das „Marginalisierte“ und „Transitorische“ drückt sich bei beiden Ländern schon in ihren geographischen Zuordnungen aus: Afghanistan wird überwiegend Zentralasien, aber auch Südasien, einer alten sowjetischen Bezeichnung entsprechend auch „Mittelasien“ zugeordnet, die Ukraine mal Mittel-, überwiegend jedoch Osteuropa. (4)

 

Die historischen Wurzeln solcher Definitionen sind vielfältig. „Geschichtlicher und politischer Wandel“(4) bei der Beurteilung des Geschehens, letztlich des Erbes der Vergangenheit unterliegen dabei zumeist „herrschenden Meinungen“ und „Narrativen“. Entsprechend können sie denn auch im Laufe der Zeit umgeformt werden. Wie es eben passt. Und dazu noch: ganz standortspezifisch.

 

Die „Zeitenwende“ des neuen Krieges in Europa lässt dabei auch in einer von manchen Denkern oder „Philosophen“ so genannten „post-heroischen“ Gesellschaft wieder Diskurse über den Terminus des "Kriegshelden" aufkommen. Das Thema „Krieg" selbst mit seiner unmittelbaren Bedrohung funktioniert auch nicht in Anbetracht von „Distanz" und „Nähe" von Geschehen und Position des / der Beobachtenden. Zudem: die Grenzen zwischen „Heldentum" und Hans Jonas' „Prinzip Verantwortung" sind unscharf. Die Grenzen zwischen „HeldInnentum" und „Promikult" bis hin zum „Kitsch" nicht minder. Präsident Selenskyj hat der in den Jahren seit der Annektion der Krim auch mit westlicher Hilfe aufgerüsteten ukrainischen Armee durch seine Standhaftigkeit den Rücken gestärkt. Der übermächtig erscheinende Aggressor musste manche Schwächung in seinem aus sicherer Distanz befohlenen Krieg hinnehmen. (5)

 

Die Ukraine wurde im 20.Jhdt. zwischen Aggressoren und ihren Narrativen aus dem Westen und dem Osten im Wechsel zum Schlachtfeld. Vor dem ersten Weltkrieg waren das Land und seine Institutionen sowie der Großgrundbesitz fest in zaristisch russischer Hand. Nach der Oktoberrevolution 1917 folgte eine kurze Phase der Unabhängigkeit als „Ukrainische Volksrepublik“. Die Truppen der „Mittelmächte“ des deutschen Kaiserreichs und Österreich-Ungarns schlossen nach ihrem Einmarsch im Februar 1918 ihren separaten „Brotfrieden“ in Brest-Litowsk mit der Ukrainischen Volksrepublik, setzten aber auch die russischen Großgrundbesitzer des vormaligen Zarenreiches wieder ein. Der Ukrainisch-Sowjetische Krieg, der Polnisch-Ukrainische Krieg um Galizien, mit dem das seit 1772 von der Landkarte verschwundene, nun wieder erstandene Polen sich gegenüber seinen Teilungsmächten behaupten wollte: nach Ende des 1. Weltkrieges begannen viele Kleinkriege um alte Gebietsansprüche in Ost- und Mitteleuropa. Es folgten der Russische Bürgerkrieg zwischen Weißen und Roten und der Ausruf der Ukrainischen Sowjetrepublik im Januar 1919 in Kiew. Das Ende der kurzen Existenz der Ukrainischen Volksrepublik erfolgte im Februar 1920, als die Rote Armee letztlich die gesamte Ukraine einnahm.

Als Stalin dann in den 1930ern mit seinen martialischen Methoden den „Anspruch auf Gleichheit“ durchsetzen wollte, kam mit der „Zwangskollektivierung" und den daraus resultierenden Hungersnöten im Zuge des Holodomor in der „Kornkammer Ukraine" erneut 1000- ja millionenfacher Tod, Not, Elend und Misswirtschaft aus dem Osten. Dann kam die Besatzung aus dem Westen, also durch Nazi-Deutschland. Der dort vollzogene Genozid 1941-43 brachte erneut 1000- ja millionenfachen Tod, Not, Elend und Misswirtschaft über das Land.  Die Rückeroberung der Ukraine dann durch die Rote Armee und Einverleibung ins Sowjet-Imperium: das Land wurde immer wieder zwischen Ost und West „zerrieben“ und Land und Leute hatten einen hohen Blutzoll zu entrichten. Die Ukraine war ab 1991 auch jetzt wieder der Kern des ersten staatlichen Gebildes auf russischem Boden nach Zerfall der Sowjetunion. (6)

 

Insofern erfüllt Präsident Selenskyj in der Situation nach der russischen Invasion eine verantwortliche Rolle und folgt dem „kollektiven Gedächtnis" seines Volkes. Dass sein Land als junges, selbst verantwortliches eigenstaatliches Gebilde viele Defizite aufweist, insbesondere was Korruption und Oligarchiebesitz („Landlordism und Warlordism“) betrifft, das gilt es zu beachten, es steht aber erst wirklich zur Debatte, wenn man eine friedliche, auf Ausgleich und eine entsprechende Verfassung hinarbeitende Nachkriegsordnung im Einverständnis mit Kiew ausarbeiten kann. Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Gut gemeinte Ratschläge oder gar „Expertisen“ von Seiten von Ökonomen und anderen jetzt lassen viele Themen vermissen oder scheinen die erschütterte persönliche Illusion des Weltfriedens von den Protagonisten für diese selbst, aber nicht für die Menschen der Ukraine wiederherstellen zu wollen. Dass Aufbau und Akzeptanz, also auch exekutive Durchsetzung einer Nachkriegsordnung und ein damit einher gehendes Konzept für einen Wiederaufbauplan die Auswertung vergangener Kriegsorte und die Beteiligung vieler Fakultäten und Expertisen von Völker- und Staatsrechtlern, Ökonomen, Ökologen, Soziologen, Stadt- und Regionalplanern, Agrarwissenschaftlern und Ingenieuren und vielen mehr erfordert, das geht bei solchen medialen Schnellschüssen allzu leicht verloren. (7)

In der Ukraine ist es also primär west-/ mitteleuropäisches und osteuropäisches / primär russisches imperiales Erbe, das den stetigen transitorischen und damit umkämpften Charakter des Landes und seiner fragilen Existenz ausmacht. Deutschland selbst hat da im Zuge des Erbes, als Rechtsnachfolger sowohl des Kaiserreiches unter preußischer Führung als auch des 3. Reiches weitaus mehr Mitverantwortung für eine Auflösung des derzeitigen Dilemmas als es der politischen Führung und den „Eliten“ des Landes bewusst zu sein scheint.

In Afghanistan ist es primär britisches und russisches imperiales Erbe, das den stetigen transitorischen und damit umkämpften Charakter des Landes und seiner fragilen Existenz zwischen Südasien, Zentralasien und im Zuge der letztlich durch Putin und seine Exegeten wieder ins Spiel gebrachten sowjetischen Lesart „Mittelasien“ ausmacht. (4)

 

Präsident Ghani in Afghanistan im August 2021 verließ kurz vor der erneuten Machtübernahme der Taliban das Land. Große Teile der Armee hatten schon vorher nach mehreren Monaten ohne Sold kapituliert. Der Westen hat kein Interesse mehr an diesem Land gehabt. An der Ukraine indes hat er derzeit Interesse.

 

Es stellen sich jedoch weiterhin viele Fragen: wie lange wird das Interesse des Westens an der Ukraine vorhalten? Welches Volk wird durch welches Völkerrecht noch wie weit geschützt? Da die Aneignung kulturellen und menschlichen Erbes im Zuge jeder Art von „Invasion“ bald den Aggressor zum Besatzer macht: welche Regeln und Gremien benötigen wir weiterhin, um ein friedliches Zusammenleben der Völker und den Schutz kleiner Länder ohne Atomwaffen zu gewährleisten? Wie kann ein eben das, kulturelles und menschliches Erbe achtender Wiederaufbau des einen wie des anderen Landes vonstatten gehen?

 

Im „Windschatten des Krieges“ gibt es ja zudem auch immer wieder Meldungen über das Aufflackern anderer regionaler Konflikte: seien es die Kämpfe zwischen Aserbaidschan und Armenien um Nagorny-Karabach, seien es die Kämpfe türkischen Militärs in der „Folge des Krieges gegen den Terror“ gegen die kurdische PKK in Ostanatolien. Seien es Kämpfe in Transnistrien, also im Westen der Ukraine, in der Moldau, wo damit eine zweite Front zudem von Moskaus Seite her droht. Insofern ist in diesem Zusammenhang auch zu fragen: wie können solche Konflikte insgesamt besser auch diplomatisch geregelt werden, um endlich besseren Schutz von menschlichem, kulturellem und materiellem Erbe zu gewährleisten?

 

Gerade die Geschichte des ersten großen Genozids des 20. Jahrhunderts, des Vorläufers mithin des Massenmordes an den europäischen Juden durch Nazi-Deutschland hinterlässt da einen bitteren Nachgeschmack: Als das Interesse am „Nahen und Mittleren Osten“ und seiner Ölvorkommen wuchs, ermächtigten sich die „drei Pashas“ 1913 des Osmanischen Reiches. Als der 1. Weltkrieg im vollen Gange war, 1915, begangen sie mit dem Genozid an ca. 1 Million der 2 Millionen Armenier, einer christlichen Minderheit im muslimischen Sultanat. Britische, französische und auch russische Medien berichteten über die Grauen des Verbrechens. Im Dezember 1915 bot einer der drei, Djemal Pasha in einer Depesche an die Alliierten Frankreichs, Russlands und des UK an, den Genozid an den Armeniern zu beenden und sich aus dem Kriegsgeschehen auf Seiten der Mittelmächte herauszuziehen. Die Kernbedingung war, dass Frankreich und das Vereinigte Königreich jegliche Ansprüche auf Gebiete des osmanischen Reiches im Mittleren und Nahen Osten aufgeben, also „Sicherheitsgarantien“ geben würden.

Dies erfolgte aber nicht. Und der Genozid an den Armeniern ging weiter. 

„Die Lehre hier für die Ukraine ist traurig, aber sie sollte sehr genau betrachtet werden. Mächtige Staaten haben weitreichende Strategien, die sie entschlossen durchführen. Menschliches Leid ist nicht Teil dieser Gleichung.“ (8)

 




3.     Ukrainische und afghanische Perspektiven 2:
        Prämissen für den Weg von „Conflict- zu Post-Conflict“, also zu Nachkriegsordnungen

 

Krieg als einschneidendes Ereignis im kollektiven Gedächtnis, im kulturellen und sozialen, materiellen und immateriellen Erbe erfordert insofern auch beim „Denken des Krieges vom Ende her“ konkrete Fallbeschreibungen und Motivherleitungen, um entsprechende Verlaufsszenarien zu eruieren:

a.     Welche Ziele verfolgen die kriegsführenden Parteien?

b.     Wie werden sie weitergehen und:

c.     wie und bis zu welchem Grade geben sie sich mit welchen
        Primär- oder Sekundärzielen zufrieden? Oder:

d.     wie kann der Aggressor früh in seine Schranken gewiesen
         und der Überfallene wiederum gestärkt werden und:

e.     mit welchen Szenarien militärischer und ökonomischer Art ist da zu rechnen? Und:

f.       welche Formen der Gewaltenteilung und der Implementierung von Recht und Ordnung müssen wie überwacht               werden, damit die Gesellschaft als Ganze vor Ort daran partizipieren kann? Oder anders herum gesagt:

g.     wie kann zwischen starken privaten und schwachen gemeinschaftlichen Partikularinteressen Ausgleich

         geschaffen  und

h.     wie können Formen des Interessensausgleichs beim Auf- und Umbau einer Verfassung institutionalisiert werden?             Und zu guter Letzt:

i.       wie kann interne und externe Versöhnung und Vertöchterung damit einhergehend vonstatten gehen und   

        gleichfalls Teil des institutionalisierten Prozesses werden?

 

Zu a.: Beim Aggressor Russland scheint es zunächst ganz klar zu sein, worum es Putin und seinen Gefolgsleuten da in erster Linie geht: eine Neutralisierung bis hin zur Ausschaltung der Ukraine. Die damit verfolgte Demilitarisierung soll so vollzogen werden, dass das Land mit Hilfe seiner (westlichen Partner) keine Bedrohung für seinen übermächtigen Nachbarn mehr darstellt. Ob und inwiefern diese Bedrohung per se auch von russischer Seite fingiert ist, soll in diesem Zusammenhang erst einmal nicht berücksichtigt werden.

Einer der Hauptgründe für das Minimalziel der russischen "militärischen Operation" indes ist sicher das bisherige „ukrainische Beutegut“, der strategisch wichtige Hafen Sewastopol und die dort stationierte Schwarzmeerflotte und damit einhergehend die Kontrolle über Asowsches und Schwarzes Meer. 

Der, wie Karl Schlögel eindringlich schildert, seit 2014 vollzogene „Urbizid“, also das Auslöschen der ohnehin durch ihre gesamte Industriekulturgeschichte schon arg zerklüfteten Stadt Donezk wird denn hier ja auch durch den im Zuge des „Blitzkrieges“ viel schneller vollzogenen „Urbizid“ von Mariupol mit seinem gigantischen Stahlwerk und dem metallurgischen Komplex gefolgt. Damit fällt denn auch ein Korridor von Wolgograd und Rostow am Don über Luhansk und Donezk bis nach Sewastopol zur Krim in russische Hände. (9)

Sicherung, Erhalt und Ausbau dieses „Landkorridors“ dürfte denn auch das wesentliche Minimalziel Russlands sein, um hier b. und c. von russischer Seite zu umreißen.

 

Bei diesen drei Punkten a., b. und c. von Seiten der Ukraine indes kommen unweigerlich die EU, die NATO und die US ins Spiel. Inwieweit die NATO-Osterweiterung und die von vielen Seiten angestrebte EU-Integration des Landes ursächlich für die Invasion nun Russlands in der Ukraine und den „Urbizid“ auch Mariupols und das Millionenfache Leid des ukrainischen Volkes war, das ist jedoch nicht maßgeblich. Wichtig sind nun mehr denn je die Optionen eben der Ukraine und ihrer Menschen: Sicherheit und Schutz und damit Fortführung bzw. Wiederaufnahme eines gesicherten Lebens in gesicherten Grenzen, ohne Angst vor einer stetigen neuen Invasion solchen fürchterlichen Ausmaßes, wie man es jetzt erleben muss. In der jetzigen Situation bedeutet das auch: eine verstärkte militärische Verteidigungsfähigkeit, um den Aggressor zurückzuschlagen und in seine Schranken zu weisen. Den erforderlichen Respekt einzufordern. Das heißt eben auch: „schwere Waffen“ und schweres Gerät zur Landesverteidigung und zum nachfolgenden gesicherten Wiederaufbau.

 

Womit wir bei d. wären hier: Mittel- und langfristig wird es instabil bleiben. Weitere russische Scharaden sind zu befürchten. Das Minimalziel des Landkorridors nach Sewastopol wird man im Kreml nicht preisgeben. Der „neue eiserne Vorhang“ in Europa macht auch einen gesicherten Wiederaufbau unmittelbar an der eher ausgefransten und immer wieder neu ausgefochtenen Grenzlinie und im „Hinterland“ erforderlich. Wie beim ersten Kalten Krieg indes müssen dafür Mittel und Wege großzügig bereit gestellt werden.

 

Zu e.: es ist eben auch ein „Wettstreit der Systeme“, der sich dort abspielen wird. Dabei fragt sich dann auch, wie wandlungs- und handlungsfähig Europa und der Westen sind, um der russischen Oligarchisierung partizipativ organisierte Wege zum Wiederaufbau der Ukraine und zur Stärkung Ost-,  Mittel- und Südeuropas nach Austerität und Neoliberalismus entgegenzusetzen.

 

F, g, h und i sollen hier in der Folge detaillierter umrissen werden.

Die „Bodenfrage“, sprich Landnutzung und die Nutzungsrechte, also Anteile bei Bewirtschaftung, Gewinn und Ertrag spielen da eine zentrale Rolle. Letztlich geht es maßgeblich darum, die Diskurse zu der subtilen Rolle von Austerität und Neoliberalismus und dadurch stetig gewachsener Ungleichheit im Westen aufzubrechen und der völlig schamlosen Oligarchisierung im Osten den Willen, wieder mehr Freiheit, Gleichheit und Solidarität für alle zu schaffen entgegenzusetzen.

 

 

4.     „New Deal“, „Manhattan-Project“, „Marshall-Plan“
        und andere historische Notwendigkeiten heute
        vom Anfang und vom Ende her gedacht

 

Franklin Delano Roosevelts „New Deal“ war Anfang der 1930er eine in mehreren Phasen gestaffelte adäquate volkswirtschaftliche Antwort auf die Verwerfungen durch die Weltwirtschaftskrise der ausgehenden 1920er. Damit einhergehend waren vielfältige soziale und Jobprogramme, die natürlich auch die damit verbundene Aufrüstung und den Kriegseintritt der US in „The War“, den 2. Weltkrieg vorbereiteten und begleiteten.

Das „Manhattan-Project“ geschah aus Anlass eines Briefes, den Albert Einstein und Leó Szilárd zur Planung einer „Bombe neuen Typs“ durch Nazi-Deutschland an FDR im August 1939 schrieben. In den Wirren des Krieges ging das deutsche Programm zur Entwicklung der Atombombe unter. Das streng geheime Projekt in den US indes führte zum Vorsprung der US auf diesem Gebiet und zum nuklearen Ersteinsatz in Hiroshima und Nagasaki und letztlich zum „Gleichgewicht des Schreckens“ im Kalten Krieg zwischen den Blöcken der Supermächte USA und Sowjetunion von 1945 bis 1989.

 

Der nach Fünf-Sterne General George C. Marshall benannte Plan des Generalstabschefs des Heeres der US, der als solcher im 2. Weltkrieg die alliierten Operationen in Europa und im Pazifik koordinierte, geht da nochmals weiter.

Viele Menschen in Deutschland indes scheinen komplett vergessen zu haben, dass und wie das Land vor 77 Jahren aus dem Staub der Ruinen wieder aufstehen musste. Auch die Selbstverständlichkeit, mit der der "Marshallplan" immer wieder zitiert wird, ignorierend, dass der verdiente General sofort von den neuen Scharfmachern im Kalten Krieg um Sen. McCarthy gedemütigt wurde und sich bald entsprechend aus Politik und öffentlichem Leben zurückzog, ist frappierend. (10)

 

Der European oder gar der Global „Green New Deal“ von Seiten der EU und von Seiten der US-Demokraten vorgebracht indes scheinen immer wieder in ihren Umsetzungsmöglichkeiten vor der immer konkreter werdenden abstrakten Dimension der Herausforderung zu kapitulieren. Ob gar der politische Wille zudem gegenüber aggressiven Stimmungsmachern und Leugnern des Klimawandels fehlt: das kann hier nicht beurteilt werden. Ganz besonders deutlich wird dies auch in den Ausführungen von Noam Chomsky und Robert Pollin in „Climate Crisis and the Global Green New Deal“. Trotz immer neuer Hitzerekorde und vieler Turbulenzen und Dürren und Überschwemmungen und und und: der politische Wille, da der Größe und der Gewalt der globalen Ereignisse im lokalen und nationalen Rahmen global koordiniert angemessen zu begegnen scheint da immer noch viel zu schwach.

 

Auch jetzt im Ukraine-Krieg wird vielfach von einer „Zeitenwende“ gesprochen. Die Reaktionsweisen jedoch verpuffen vielfach mit der Zeit eher in nationalen Beschränkungen. Welche „Solidarität“ da zudem wie lange anhält: das ist schwer auszumachen. Zumal sich immer mehr ankündigt, dass der Krieg auch im Abtreten ukrainischer Gebiete an den russischen Aggressor erst einmal ein Ende finden könnte. Was nicht heißt, dass die neuen Demarkationslinien zwischen West und Ost nicht immer wieder neuer Anlass für bewaffnete Konflikte sein können. Letztlich wird ein entscheidendes Ergebnis das „Scheitern des Staates Ukraine“ sein. Um mit diesen Konsequenzen aber zu arbeiten, hält diese „Zeitenwende“ insofern eine schwierige Lektion für den Westen parat. Besonders nach Afghanistan und im Gefolge des „Krieges gegen den Terror“ im Nahen und Mittleren Osten. (11)

 

Die Themen zusammenzubringen und dazu auch noch die Umsetzung zu gewährleisten indes: dafür bedarf es vielseitigen und vielschichtigen kulturellen Wandels. Und des entsprechenden Willens dazu. Eine erhöhte Wertschätzung von manueller Arbeit auf den Böden der Tatsachen, die sich auch in den Löhnen ausdrückt: Handwerker wie auch Soldaten als Kämpfer für unsere Werte benötigen diesen Wandel dringend. Abgesehen davon: wer soll Umbau und Erweiterung von „Infrastrukturen“ leisten? „Digitalisiert“ können solche Arbeiten kaum „von der Hand gehen“.

Im Windschatten von Pandemie und Krieg, wie Osteuropa-Forscher sagen in der Mitte Europas, wie viele hier, die das Geschehen erst einmal weit von sich schieben wollen sagen indes weit im Osten Europas, gibt es so viele "Kollateralschäden", die im politischen Alltag kaum entsprechend debattiert, geschweige denn für die mittel- und langfristige Lösungen gesucht werden: ca. 1/3 der Kinder, die im "Homeschooling" abgefallen sind, nun neuer Zuwachs durch Zuzug von Flüchtlingen und Migranten, die "Klimakrise", die ja auch mehr "Resilienz" der "Infrastrukturen" erfordert etc. Die "Zeitenwende(n)" machen auch eine Rückbesinnung auf andere, frühere Maßnahmen des kollektiven Wiederaufbaus erforderlich. Letztlich bedarf es dafür aber auch des Transfers dieser Themen und Werte in unsere Zeit.

Aber viele Menschen, auch Politiker scheinen sich von dem kollektiven Gedächtnis der meisten Menschen, die sie vertreten weitest gehend abgekoppelt zu haben. Und das scheint mir auch eines der Hauptprobleme generell zu sein: man hat eigentlich kaum noch den Blick auf die Aufbaugeneration der Eltern, geschweige denn die Kriegsgenerationen der Großeltern selbst parat. Wer jedoch sich von den Erzählungen der Vorfahren abnabelt ohne sie auch mit ihnen geteilt zu haben, der läuft Gefahr, menschlichem Leid mit einem undurchdringlichen Verdrängungsfilter zu begegnen.
Als ich 2009 / 10 in Afghanistan als „Aufbauhelfer" gearbeitet habe, da sind mir viele Elemente aus den Erzählungen meiner Eltern auch über meine Großeltern und darüber hinaus in anderer Form wieder begegnet. Ich möchte dies nicht missen und habe dies alles aufgeschrieben.
Insofern: vielleicht ist man auch überwältigt vom Krieg und kann weder vom Frieden noch vom Krieg wirklich denken, weil beides irgendwie außerhalb der eigenen Verdrängungsblase geschieht? 

 

Im Hinblick auf China und sein wirtschaftliches Schwergewicht, auch mit Fokus auf die Gefährdung Taiwans im Windschatten der russischen Invasion in der Ukraine ist zu ergänzen: Gerade die Abhängigkeit des US-Außenhandelsdefizites von Chinas Wachstum mittels des Massenkaufes von US-Staatsanleihen durch Beijing in den letzten Dekaden und die Abhängigkeit der deutschen Automobilindustrie von China als größter Produktions- und Absatzmarkt sind zu beachten. Insofern sind hier kaum wirklich fruchtende wirtschaftliche Sanktionsmaßnahmen möglich ohne einen Crash, der 2008 weit in den Schatten stellt. Des Weiteren: "Follow the money trail" war Jahrzehnte lang das Paradigma globalen Handels und westliche Unternehmer haben so eben auch alle Errungenschaften im Arbeits- und Umweltschutz bei uns durch den Fortzug in Billiglohnländer umgangen. "Demokratieexport" war nie (Primär-)Interesse, sondern Profitmaximierung. Durch all dies bedingt hat das Reich, das da immer wieder um seine Mitte ringt in diesen rasanten global ökonomischen Umbauprozessen eine enorme Machtfülle erreicht.
Im Hinblick auf Taiwan: Die Invasion auf einer Insel mit dem, was in WK2 Amtracs genannt wurde und Luftlandetruppen/ Fallschirmjägern im Hinterland ist in jedem Falle höchst aufwändig. Dazu kommt, dass die chinesische Form des "ad-hoc-Neoliberalismus" in den letzten Dekaden ökonomisch immer Gesichtswahrend durch alle Krisen hindurch gehen konnte. Die riesige Immobilienblase, die 2011 zum ersten Male im Westen mit Zahlen belegt wurde: im Zuge "globaler Systemstabilität" wurde da auch bei uns nicht viel Aufhebens gemacht und weiter "nachhaltiger Leerstand" produziert. Architektur habe ich im Rahmen meiner Tätigkeit selbst in Hangzhou im „reichen europäischen Osten Chinas“ 2011 / 12 auch als wichtiges Werkzeug beim Weg zurück in den Feudalstaat von Gnaden der KP erlebt. Letztlich geht es überall nur noch um die Erweiterung der Herrschaftsbefugnisse der Oligarchien. (12)

 

So droht alles einmal mehr in Beliebigkeit zu verwässern. Keine Krise, deren Gefahr auch als Chance genutzt wird. Als wäre „business as usual“ das einzige Paradigma menschlichen Seins oder Nicht-seins, das wirklich gilt. Der als solcher bestätigte „Homo oeconomicus“, der dieses Paradigma behauptet indes scheint viele Themen des Menschseins in seiner (D)Evolution verlernt zu haben. Oder bedingungslos verdrängt.

 

Auch Noam Chomsky und Robert Pollin betonen immer wieder, wie fatal eine Fortführung des Neoliberalismus und der damit einhergehenden Austerität wäre unter immer wieder nur leicht geänderten Vorzeichen. Etwas, auf das es seit Jahren und Jahrzehnten immer wieder hinausläuft. Auch jetzt bei diesem Krieg und in dessen Gefolge. (13)

 

Der Marshallplan seinerzeit bedeutete auch ein Aufbauen des in Schutt und Asche des 2. Weltkrieges liegenden Westeuropas als Bollwerk gegen den kalten Kriegsgegner. Insbesondere Deutschlands, das den Krieg begonnen hatte.

Den Krieg vom Ende her denken und der europäische grüne New Deal zusammen gedacht und zusammen vollzogen erfordern mehr als das stetige Verwässern von Nachhaltigkeitsformeln. Richtig weiter gedacht vermag daraus auch Noam Chomskys und Robert Pollins Global Green New Deal zu werden. Wenn wir endlich den Mut aufbringen, die Themen konsequent weiter zu treiben. Ohne schon am Anfang in Mutlosigkeit zu verzagen. Und dies dann als „Alternativlosigkeit“ zu verkaufen. Wir könnten. Aber dafür müssen wir die Dinge gemeinsam auch an ihr bitteres Ende denken. Und darüber hinaus aus- und zusammenarbeiten.

 



 

5.     Interimslösungen für zeitgeschichtliche Verwerfungen
        im 21. Jahrhundert und darüber hinaus

 

Das Erwachen des russischen Bären als verzweifelter Mensch war lange zu befürchten. Verzweifelten Menschen und ihrer hemmungslosen Gewalt ist nur mit Entschiedenheit zu begegnen. Das in ihnen geweckte Biest hat aber auch ein Gesicht, das es hinter seiner hässlich drohenden eiskalten Miene zu verlieren hat. Auch wenn diese mit nuklearer Auslöschung und damit letztlich dem eigenen früher oder später erfolgenden Märtyrertod droht.

 

Den 77. Jahrestag des Endes des „großen Vaterländischen Krieges“ über Nazi-Deutschland am 9. Mai 2022 hatten sich der verzweifelte Mensch und seine Gefolgsleute anders gedacht. Das Land aber auf der anderen Seite des Atlantiks, für das das Geschehen 1939, insbesondere nach der Landung in der Normandie 1944-45 einfach „The War“ – „der Krieg“ war: es hat dieses Biest bereits an vielen Orten geweckt. Nicht immer wirklich zum Besten für die dort lebenden Völker.

 

Dem ukrainischen Volk ist insofern jede Art der Selbstverteidgung nicht nur zuzugestehen. Jede Unterstützung mit „schweren Waffen“ und schwerem Gerät zum späteren Wiederaufbau sichert auch Mittel- und Westeuropa, das Hinterland des neuen eisernen Vorhangs, der noch verschiebbar derzeit eingebaut wird. Für wie lange: das hängt auch von unserer Gegenwehr ab. Der andere „eiserne Vorhang“ hielt ja immerhin rund 44 Jahre, von 1945 bis 1989.

 

Dem „Urbizid“ von Donezk und Mariupol gingen im fossilen Denken des vergangenen Jahrhunderts viele andere „Urbizide“ voraus. Bagdad, Falluja, Rakka, Mosul, Aleppo, Kabul und manche anderen Orte. Es waren viele Kräfte beteiligt an der Zerstörung kulturellen Erbes der gesamten Menschheit und ihrer Schutzräume. Das entbindet uns nicht von der Pflicht, dort genauer hinzusehen und zu prüfen, was und vor allem wie dieses Erbe für kommende Generationen wieder erlebbar wird. Wie es Menschen und Kreaturen wieder Schutz zu bieten vermag.

 

Der verzweifelte Mensch im Kreml und die Überfallenen in der Ukraine, die natürlich jede Kapitulation ablehnen und vom Genozid sprechen: im Gespräch mit Noam Chomsky beschreibt Jeremy Scahill eindringlich, wie George W. Bush jegliche internationale Gerichtbarkeit 2002 im „Den Haag Invasion Act“ für die US nicht nur abgelehnt hat, sondern letztlich US-Militär autorisiert hat, in Den Haag angeklagte US-Staatsbürger zu befreien. Nach den systematischen Kriegsverbrechen der russischen Invasoren in der Ukraine, die auch Chomsky und Scahill betonen indes, sollte denn auch endlich internationales Recht wirklich verbindlich werden. Für alle. Dahin indes ist noch ein langer Weg. (14)

 

Der beschleunigte Bau nun von Flüssiggas-Terminals in Deutschland: das Selbstbestimmungsrecht der indigenen Einwohner Nordamerikas, die Jahrzehnte lang gegen die Verseuchung ihrer Wasservorkommen durch Fracking und durch Pipelines wie Keystone XL protestiert haben ist genauso wichtig wie das Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf Verteidigung der Bürger der Ukraine. Um also vom „fossilen Denken“ im 21. Jahrhundert weg zu kommen, müssen wir schon „nationale Energiesicherheit“ mittel- und langfristig und im Kontext mit internationalem Völkerrecht und dem Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht nur überprüfen, sondern auch endlich die erforderlichen Anpassungsvorgänge des „Rechts“ im postfossilen Modus der Verantwortung des Anthropozäns gemäß vornehmen: nicht der Stärkere und Zahlungskräftigere alleine hat das Recht. Die Menschen vor Ort haben auch Anspruch auf sauberes Wasser und eine atembare Luft. Das gilt für andere Oligarchien, aus denen wir nun Flüssiggas beziehen nicht minder. Also Qatar und seine Gesellschaft, in der „Gastarbeiter“ noch weniger Wert haben als der deutsche Ausdruck da schon besagt und über Generationen auch bewirkt hat bei den Menschen, die hierhin kamen, um das letztlich auch dem Marshallplan geschuldete und dem auch von Griechenland bewilligten Schuldenerlass Deutschlands ermöglichte „Wirtschaftswunder“ zu stützen.

 

Der versuchte und tatsächlich ja auch tausendfach durchgeführte Brudermord an der Ukraine nun von Seiten Russlands hat letztlich das Scheitern des Staates Ukraine unweigerlich zum Ziel.

Afghanistan war bereits 1955 ein „failed State“ und musste den Staatsbankrott verkünden. Die politikwissenschaftliche Definition des „gescheiterten Staates“ folgte erst zu Beginn der 1990er. Dass der Westen genauso wenig mit den Folgen des Scheitern eines Staates umgehen will und kann und alles eher verschlimmert: das hat er in Afghanistan einmal mehr bewiesen. Hilfe zur Selbsthilfe jedoch erfordert gute Zusammenarbeit und bewaffneten Schutz. Davon sind wir in unserem vielstimmigen Geschwätz noch weit entfernt. Die Brüder Klitschko in Kiew werden das genauso bezeugen können wie Tanja Maljartschuk aus einem Shtetl im Westen der Ukraine in Wien wie viele andere auch. Meine afghanischen Freunde nicht minder. (15)

 

Zumal: da man ja im Laufe der letzten Jahre geradezu konditioniert wurde, über seine „Befindlichkeiten“ zu reden, mit der Lösung dieser „Befindlichkeiten“ aber letztlich immer alleine gelassen wird, es sei denn, man hat mediale Mitstreiter jenseits von „(a)sozialen Medien“, die wie auch jetzt ihre Ängste nutzen können, um Abel die Verantwortung für Kains Bruderkrieg subtil hinüberzuschieben: mein Befremden über dieses Land hier hält an. Spätestens seit Sommer 2010, meiner „Demission“ nach 1 ½ Jahren Leben und Arbeiten in Kabul und vielen Zeilen dazu, die in dem Satz gipfeln: „Nach der Rückkehr aus Afghanistan in den Westen kann nichts mehr so sein, wie es war“, kann ich Deutschland nur noch von außen betrachten. Man zeigt mir immer wieder, dass solche wie ich keinen Platz und keine Stimme hier haben. Alleine, wie ein paar Jusos, von denen manche lieber heute als morgen als „Gefechtsfeldtouristen“, wie Heike Groos (RIP) sie mal polemisch bezeichnete über Auslandseinsätze auch der Bundeswehr entscheiden würden mich mal ansahen, als ich von Soldaten als „bewaffnete Sozialarbeiter“ sprach, das spricht Bände. Dass ohne solche Partner gar kein Wiederaufbau eines letztlich immer wieder gescheiterten Staates und seiner Gesellschaft möglich ist, das hatten diese Leute, die wahrscheinlich auch noch Politik- oder Sozialwissenschaften studierten überhaupt nicht auf ihrem Schirm. Man verschließt sich vor der Welt und projiziert seine Ängste vor ihr irgendwie in Bildern und Klischees nach außen. Die Bevormundung von anderen da draußen nimmt dabei bisweilen höchst subtil autoritäre Züge an. „Meinungs- und Willensbildung“ wird so zu einem ganz seltsamen Spiel, das die vier I’s: Ideologie, Ignoranz, Inertia, also Trägheit und Irrationalität im Namen der „Aufklärung“ als „Weisheit letzter Schluss“ hochzuhalten gewillt scheint.

 

Die größte Herausforderung, Chance und Gefahr des 21. Jahrhunderts bleibt die globale Erderwärmung. Die Genozide verdecken nur die gewaltige, eher abstrakte Macht des Ökozides. Jeder Genozid verstärkt den Ökozid. Auch dafür bedarf es etwas genaueren Hinsehens. Und des Zusammenbringens der Dinge. Was auch in postdemokratischen Gesellschaften des Westens nicht so recht gelingen soll. Oder darf. Die fragmentierten Realitäten kann man in ihrer immer kleinteiliger werdenden Zersplitterung nur durch das Weiterdenken von Tautologien, also „allgemein gültigen Wahrheiten“ jenseits von Kontradiktionen und mithilfe von Korrelationen entschlüsseln. Die Erfahrung ist dabei im Zuge des Zusammenfügens der Splitter trotz Wittgensteins Aussage, dass sie der Logik nachgeordnet sei ein wichtiger Faktor zum Finden von Wahrheit. Sie ist der Logik beigeordnet. Insofern ist Baudrillards Erkenntnis von der Zersplitterung von Realitäten nicht „postmodern“, sondern zeitlos. Paul Virilios Kombinatorik indes mit der Kinematographie und der Beschleunigung basiert letztlich auch auf seinen Erfahrungen. Und seinem Sein oder Nicht-Sein als Kind des Krieges. Bar dessen, was Hamlet erfahren musste und Wittgenstein meinte, als logisches Konstrukt vor die Erfahrung stellen zu müssen. Die Erfahrung von Sein oder Nicht-Sein aber ermöglicht überhaupt erst Logik. Und den entsprechend unverstellten Blick auf Realität. Auf Gegenwart, Vergangenheit und damit auch auf Möglichkeiten der Zukunft. (16)

 

 

Anmerkungen

 

1       Schlögel, Karl – “Entscheidung in Kiew – Ukrainische Lektionen”; © Carl Hanser Verlag, München 2015, 3. Auflage                 Fischer Taschenbuch, 03 / 2022, S. 279

2       Schlögel, Karl – a.a.O., S. 263

3       Jahn, Egbert - „Verteidigung Deutschlands am Hindukusch“. Die deutsche Rolle in Afghanistan“; © 2012 VS Verlag             für Sozialwissenschaften   Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH – S. 178 / 179
         https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-94312-1_10

4       Wikipedia zu „Mitteleuropa“: „Außerdem unterliegt die Auffassung des Begriffs dem geschichtlichen und                             politischen Wandel. Mitteleuropa ist daher nicht eindeutig zu definieren, doch kommt der Frage seit dem Fall des             Eisernen Vorhangs und dem Ende des Kalten Krieges stärkere Aufmerksamkeit zu.“   

         https://de.wikipedia.org/wiki/Mitteleuropa
         Wikipedia zu „Zentralasien”: „Zentralasien oder Mittelasien ist eine zusammenfassende Bezeichnung für die

         Großregion im Zentrum des Kontinentes Asien. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben sich die Vorstellungen,     

         welche Länder dazugehören sollen, immer wieder geändert.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Zentralasien

         Zu „Südasien“ steht da: „Afghanistan kommt in vielen Definitionen Südasiens nicht vor, da das Land sich an der

         Schnittstelle von Süd- und Zentralasien befindet und historisch, kulturell als auch linguistisch eher eine Affinität

         mit dem in Vorderasien liegenden Iran und den zentralasiatischen Staaten Tadschikistan, Turkmenistan und

         Usbekistan aufweist.“ https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdasien

5       Ribi, Thomas - „Wir hatten abgeschlossen mit den Helden. Nun werden Kriegshelden auch im Westen wieder

         verehrt, obwohl ein Krieg keine Helden schafft. Nach zwei Weltkriegen, mit Blick auf Schlachtfelder mit Millionen

         von Toten, war das Heldentum unrettbar korrumpiert. Doch tot waren die Helden nie. Sie haben sich nur

         gewandelt.“ NZZ vom 14.04.2022, https://www.nzz.ch/feuilleton/helden-wir-ertragen-sie-nicht-aber-wir-brauchen-sie-ld.1679218?mktcid=nled&mktcval=123_2022-04-14&kid=nl123_2022-4-14&ga=1

6       https://de.wikipedia.org/wiki/Ukrainische_Volksrepublik

7       Imwinkelried, Daniel – “Wiederaufbau der Ukraine: Die Ökonomen schmieden bereits Pläne, aber wer schafft 

         vorher Frieden? - Renommierte Ökonomen haben einen Plan erarbeitet, worauf es beim Wiederaufbau der         

         Ukraine ankommen wird. Leider haben sie die Rechnung ohne die Politiker gemacht. Zudem stellt sich die           

         «Versailles-Frage».“ NZZ vom 21.04.2022;  https://www.nzz.ch/wirtschaft/ukraine-wiederaufbau-nach-dem-krieg-ld.1680332?mktcid=nled&mktcval=164_2022-04-22&kid=nl164_2022-4-21&ga=1

         Maron, Monika – “Alle reden vom Frieden – Ist es die Sorge um den eigenen Wohlstand oder deutsche Arroganz? - 

         Es gibt gute Gründe, die Eskalation des Konflikts zu fürchten. Aber weshalb stellen die Verteidiger des Friedens ihre

         Forderungen an die Ukraine und nicht an Putin?“ - NZZ vom 22.04.2022; https://www.nzz.ch/feuilleton/monika-maron-der-preis-fuer-den-frieden-ld.1680388?mktcid=nled&mktcval=174&kid=nl174_2022-4-22&ga=1

8       Schwarz, Jon – „The Armenian Genocide Holds a Bitter Lesson for Those Who Weep for Ukraine. From 1915 through

         today, politicians have made lots of great-sounding speeches. But human suffering is never part of the equation.“

         („Der armenische Genozid hält eine bittere Lektion für diejenigen, die um die Ukraine weinen bereit. Von 1915 bis

         heute haben Politiker viele wohltönende Reden gehalten. Aber menschliches Leid ist niemals Teil der Gleichung

         dabei“) The Intercept Voices, 18.04. 2022: https://theintercept.com/2022/04/18/ukraine-war-russia-armenian-genocide/?utm_medium=email&utm_source=The%20Intercept%20Newsletter

9       Schlögel, Karl – a.a.O., S. 201-235 und vom selben Autor:

         “In Mariupol findet ein militärisches Endspiel statt, das zum Menetekel der Zukunft Europas werden könnte. Bis

         vor kurzem war die am Asowschen Meer gelegene ukrainische Hafenstadt Mariupol nur wenigen ein Begriff.
         Heute  findet dort im Würgegriff russischer Belagerung ein militärisches Endspiel statt, das zum Menetekel der   

         Zukunft Europas werden könnte.“ - NZZ vom 25.04.2022; https://www.nzz.ch/feuilleton/eine-stadt-die-es-nicht-mehr-gibt-erinnerung-an-mariupol-ld.1680576?mktcid=nled&mktcval=174&kid=nl174_2022-4-25&ga=1   

10    https://de.wikipedia.org/wiki/Franklin_D._Roosevelt und
        https://de.wikipedia.org/wiki/George_C._Marshall.
        Weiterhin dazu hier anzumerken: Unter dem Titel „Glückliche Gegenwarten!“ geht es in diesem Eintrag auf dem                Blog des Münchner Gesprächskreises der „Nachdenkseiten“ u.a. auch um „Nachkriegsordnungen“. Und um die   

        eingangs hier schon zitierten „Helden“. In diesem Zusammenhang auch um Willy Brandt, George C. Marshall und            andere.    https://nachdenken-in-muenchen.de/?p=4559

11    Müller, Hansjörg Friedrich - “Für manche hier bin ich die Kriegstreiberin, nicht Putin. Dieser Pazifismus ist ein
       Verbrechen: Vier Ukrainer berichten über ihre Erfahrungen in Deutschland.

       Lange Zeit war die Ukraine für viele Deutsche ein Zwischenreich, bei dem sie vor allem an Tschernobyl dachten. Das

       Unverständnis, das ihrem Land entgegengebracht worden sei, habe zum Krieg beigetragen, beklagen Ukrainer, die

       seit Jahren in Berlin leben.“ - NZZ vom 17.04.2022; https://www.nzz.ch/feuilleton/dieser-pazifismus-ist-ein-verbrechen-ukrainer-ueber-deutschland-ld.1679214?mktcid=nled&mktcval=174&kid=nl174_2022-4-18&ga=1

       Puglierin, Jana – “Deutschland und der Krieg in der Ukraine: Jetzt müssen Taten folgen

       Die deutsche Regierung muss zur weiteren Stärkung der Nato führend beitragen und zum Rückgrat   

       konventioneller Bündnisverteidigung in Europa werden. Sonst bleibt die propagierte «Zeitenwende» ein leeres

       Versprechen.“ - NZZ vom 21.04.2022; https://www.nzz.ch/meinung/deutschlands-zeitenwende-jetzt-muessen-taten-folgen-ld.1680033?ga=1&kid=nl164_2022-4-20&mktcid=nled&mktcval=164_2022-04-21

12    Zoll, Patrick – “Der Verlauf von Russlands Krieg in der Ukraine spricht für Taiwans Zukunft – die Insel kann gegen

       China verteidigt werden. Der für Russland schwierige Kriegsverlauf in der Ukraine gibt Taiwan Hoffnung und muss           Peking zu denken geben. Damit sich die demokratische Insel vor einem Angriff des kommunistischen Festlands

       schützen kann, braucht sie aber mehr Unterstützung von außen.“ - NZZ vom 22.04.2022;   
       
https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-krieg-gibt-hoffnung-fuer-verteidigung-taiwans-gegen-china-ld.1679629?mktcid=nled&mktcval=164_2022-04-23&kid=nl164_2022-4-22&ga=1 und
       “China's Ghost Cities and Malls” (“Chinas Geisterstädte und Malls”), eine Dokumentation von SBS-Dateline, einem

       australischen Fernsehsender von März 2011 über die chinesische Immobilienblase, wo u.a. auch die Zahl von 64 Mio.

       leer stehenden Neubau-Wohneinheiten genannt und belegt wird.
       https://www.youtube.com/watch?v=rPILhiTJv7E&t=4s

13    Chomsky, Noam; Pollin, Robert and others – “Climate Crisis and the Global Green New Deal -
        The Political Economy of Saving the Planet” – Verso – US 2020 - © by the authors

14    Chomsky, Noam and Scahill, Jeremy on the Russia-Ukraine War, The Intercept 14.04.2022, ab ca. Min. 31:00:
        https://theintercept.com/2022/04/14/russia-ukraine-noam-chomsky-jeremy-scahill/?utm_medium=email&utm_source=The%20Intercept%20Newsletter

15    Klitschko, Wladimir – „Wir werden nicht kapitulieren“ zum Brief der 28 „Intellektuellen“, FAZ vom 03.05.2022;   

       https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/wladimir-klitschkos-antwort-auf-offenen-brief-zu-waffenlieferungen-18002508.html
       Maljartschuk, Tanja – „Man wird diesen Krieg nur stoppen können, wenn der Westen bereit ist, auch Opfer zu

       bringen. Die ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk über „Westsplaining“, die Sackgassen des Pazifismus –
       und über das, was trotz allem tröstet.“
       Das Schweizer Journal „Die Republik“ vom 29.04.2022;

       https://www.republik.ch/2022/04/29/dieser-krieg-ist-nur-zu-stoppen-wenn-der-westen-opfer-bringt

16    Wittgenstein, Ludwig – „Tractatus Logico-Philosophicus – Logisch-philosophische Abhandlung“; edition Suhrkamp

       12, 10. Aufl. 1975- © Basil Blackwell, Oxford 1959, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 87.

 

 







„Das große Spiel“ und „fossiles Denken“ im 21. Jahrhundert

03. April 2022


  1. Teil
    Intro, Begriffsklärung

       Revision und Eigen-Interpretation von Geschichte
       Kontinuität und „andere, erweiterte Kontextualität“?

 

   2. Teil

        (Kulturelles) menschliches Erbe und seine völlige Schutzlosigkeit

        Fossiles Denken, einmal mehr


  3. Teil

        Beschleunigung in den Schrecken des Krieges

       Das 21. Jahrhundert: wēijī - Krise = Chance und Gefahr

       Die Erfordernis „post-fossiler Friedensordnungen“ schon im Krieg selbst

       „Wieso funktioniert hier nicht, was bei Euch geklappt hat?“



1.  Teil

 

Der „Blitzkrieg", mit dem Wladimir Wladimirowitsch Putin die Ukraine „heim ins Reich" holen wollte,
hat alle überrascht. Ich persönlich hatte kurz zuvor noch gedacht, dass eine erhöhte Truppenkonzentration
um das Land herum von russischer und belarussischer Seite und in Polen, Rumänien und im Baltikum, also
neuen NATO-Staaten aus dem Bereich des ehemaligen Warschauer Paktes eher im Stile des „Kalten Krieges“
der 1950er Jahre bis 1989 ein gegenseitiges konventionell waffenstarrendes Belauern zum Dauerzustand
machen würde.

 

Insofern ist der mediale Tenor einer „Fortsetzung des Kalten Krieges“, den die New York Times anstimmt,
für uns hier in Mitteleuropa eher trügerisch. Putins Überfall leistet dem Beharren westlicher Politik, dem von der italienischen Stampa zitierten „Weg der Diplomatie“ einen Bärendienst. Und umgekehrt sollte hier aber auch die

Frage erlaubt sein: hat der Westen, der sich zuletzt immer wieder auch gerne als „internationale Gemeinschaft“

oder als liberale „Wertegemeinschaft“ und, wie der belgische De Standaard behauptet, „Vertreter der internationalen Rechtsordnung“ gefiel, den Despoten der Welt in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu viele Steilvorlagen gegeben?


Die Wiener Zeitung „Die Presse“ attestiert Putin gar „Cäsarenwahn“.

Im Prinzip ist Putins Handeln aber in mehrfacher Hinsicht imperial stimmig:

Es scheint, als ginge „das große Spiel" des 19. Jahrhunderts hier weiter.
Oder als ginge es in eine neue Runde.

Das eher "bipolare" 20. Jahrhundert mit seiner „nuklear versicherten Erstarrung“ zwischen den Machtblöcken

nach der europäischen und globalen Tragödie der beiden Weltkriege wiederum scheint da nur noch eine untergeordnete Rolle zu spielen. Aber, wie Murtaza Hussain im Intercept richtig anmerkt: am Ende der

Sowjetunion beheimatete die Ukraine das drittgrößte Nuklearwaffenarsenal der Welt. Die Unabhängigkeit

ging 1994 auch mit dem Verzicht auf Atomwaffen von Seiten der Ukraine und im Gegenzug einer Verpflichtung

der US, des UK mit Nordirland und der Russischen Föderation einher, die Territorialität des Landes und seine
politische Unabhängigkeit nicht zu bedrohen. Hussain wiederum zeigt auch an anderen Beispielen auf, wie

erpressbar gerade kleinere Länder ohne Atomwaffen sind. Zumal, wenn die Erzählweisen und damit auch

konstruierte Partner- oder Gegnerschaften geändert werden.


„Fossiles Denken“ bezeichnet dabei sowohl die Materialschlacht des konventionellen Eroberungskrieges hier,

als auch das geschichtsrevisionistische Behaupten von Kriegsgründen. Das „archaische Element des Bruderkrieges“ verdichtet sich darin genauso wie die völlige Irrationalität von verletzter Eitelkeit bis hin zur Selbstgefälligkeit und

zu Dämonisierung und blutrünstigen Rachegelüsten. Und einmal mehr entblößt sich die völlige Ignoranz

gegenüber einer der entscheidenden Fragen des 21.Jahrhunderts: der globalen Erderwärmung.


Revision und Eigen-Interpretation von Geschichte


Auch beim kriegerischen Zusammenbruch von Jugoslawien als einem der führenden Staatengebilde der

„blockfreien Staaten“ im „Kalten Krieg“ diente revisionistische Geschichtsschreibung zum Anfachen

nationalistisch und ethnisch religiös motivierter Konflikte:
Slobodan Miloševićs Rede am 28. Juni 1989 zum 600. Jahrestag der Schlacht auf dem Amselfeld wird vielfach als

einer der Schlüsselmomente für die „vier Jugoslawienkriege, die zwischen 1991 und 1999 auf dem Balkan stattfinden“ genannt.


2019 spricht der türkische, englischsprachige Nachrichtensender TRT World von „Vier verstörenden Fakten über den Genozid von Srebrenica“ vom Juli 1995. Ein Jahr später dann titelt die Welt: „Vor dem Massaker stand ein doppelter Verrat“ und schildert eindrücklich, wie das niederländische UN-Blauhelm-Kontingent „Duchtbat“ unter Führung von Oberstleutnant Thom Karremans in der „UN-Schutzzone“ wiederholt Hilfe und Unterstützung anforderte, bei den
Dienstherren der UN aber auf taube Ohren stieß und dann letztlich tatenlos dem Massaker der bosnisch-serbischen Truppen von Ratko Mladić an bis zu 8000 Muslimen zusehen musste.


Aber auch der Kriegseintritt von 19 NATO-Mitgliedsstaaten am 24. März 1999, als 200 Flugzeuge militärische und zivile Ziele in der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien bombardierten, wird von vielen Osteuropäern und Forschern

aller damit beschäftigten Fakultäten bis hin zu Völkerrechtlern mit „eher gemischten Gefühlen“ betrachtet. Manche sprechen vom „Sündenfall der Nato“ oder gar einem Kriegsverbrechen.


Der Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte im Kosovokrieg damals indes, General a.d. Wesley K. Clark ist auch im zeitgeschichtlichen Sinne eine höchst bemerkenswerte Persönlichkeit. Sein Interview mit Amy Goodmann von „democracy now“ vom 02.03.2007 und andere Reden danach eröffnen faszinierende und erschreckende Einblicke

in das Chaos der ersten George W. Bush-Administration nach dem 11.September 2001.


Zweifelsohne hat die NATO-Osterweiterung die Sicherheitsinteressen Russlands empfindlich berührt. Vielleicht

kann gar von einer „Verletzung“ gesprochen werden. Aber das Spinnen einer Art „Dolchstoßlegende“ und die

komplette Dämonisierung der Regierung in Kiew als „Drogensüchtige“ und „Nazibande“, die „nationale Opferrolle“ in der Bezeichnung des Zusammenbruchs der Sowjetunion als „die russische Tragödie des 20. Jahrhunderts“ und Ähnliches: in solchen Momenten kündigt der Informationskrieg das baldige blutige imperiale Stahlgewitter an.


Eine „neue Zeit“? Eher die Rückkehr alter Zeiten in neuem Gewand.

Regionalmächte und ihre Oligarchen beschreiten imperiale Wege, um mit Nadelstichen und wie jetzt schweren

Hieben kleine bis mittlere territoriale Gewinne einzuheimsen. Bisweilen höchst unilateral interpretierte geschichtsrevisionistische Scharaden liefern ihnen dafür die populistisch verbrämten Motive. Das Volk

soll ja auf den Feind eingeschworen werden.


Ob dies aber gelingt? Der Moskauer Historiker Andrei Subow benennt im Tagesspiegel
„Deutliche Beweise für Putins militärisches Scheitern“
und findet nach rund zwei Wochen des
Krieges gegen die Ukraine manche Parallelen zu Stalins Krieg gegen Finnland 1939-40.



Kontinuität und „andere, erweiterte Kontextualität“?


„Das große Spiel“ „The Great Game“ bezeichnet ursprünglich den historischen Konflikt zwischen Großbritannien

und Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien in Folge des Rückzugs von Napoleons Grande Armée aus

Russland 1813. Großbritannien agierte darin in erster Linie mit und von seinem „Vorposten“ Britisch-Indien aus. Die beiden Anglo-Afghanischen Kriege 1838-42 und 1878-80 sind da genauso wichtig zu benennen wie die

Opium-Kriege, insbesondere der erste von 1839-42.

 

Als die am Birkbeck Institut der Uni London lehrende und forschende Julia Lovell 2011 „The Opium War:

Drugs, Dreams and the Making of Modern China“ „Der Opiumkrieg: Drogen, Träume und das Entstehen des Modernen China“ veröffentlichte, da konnte sie mit der entsprechenden zeitlichen Distanz von rund 170 Jahren durchaus verständnisvoll und zuweilen gar mit humoristischem Unterton die Kaskaden von kulturellen und persönlichen Missverständnissen, die letztlich zu einem prägenden Ereignis insbesondere in chinesischen
Erzählungen wurde „entmythologisieren“. Mit Xi Jinping ist in Peking erstmals seit Mao Zedong wieder ein

Herrscher auf Lebenszeit Parteichef, der letztlich in Ermangelung eigener Agenden wiederholt

nationalistische Narrative belebt.

Derzeit hält Peking noch eine Gesichtswahrende Position inne. Die gewaltsame Beugung Taiwans „zurück ins Reich“, das schon länger um seine Mitte ringt indes könnte im Windschatten von Putins Angriffskrieg recht schnell vonstatten gehen. Letztlich ist die Verlagerung großer Truppenkontingente in den pazifischen Raum auch einer der vielen
hier in Mitteleuropa kaum wahrgenommenen Gründe für den US-Abzug aus Afghanistan.


Das immer wieder bemühte "Selbstbestimmungsrecht der Völker" wurde aber besonders nach 2001 auch vom

Westen eher zur Makulatur degradiert. Die Invasion in Afghanistan im Oktober 2001 war noch durch das Ausheben

des durch die Taliban in einem seltsamen Macht- und Rechtsvakuum gesicherten Rückzugsgebietes der mutmaßlichen Täter der Anschläge vom 11. September gedeckt. Aber der Einmarsch in den Irak 2003 war ein
massiver Bruch des Völkerrechts. Er war von vielen Lügen begleitet und das einzige damals verantwortliche

Mitglied der Bush-Administration, das daraus Konsequenzen gezogen hat, war der ehrenwerte General und

damals US-Außenminister Colin Powell (1937-2021).

Insofern hat Putin auch kein Verfahren am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu befürchten. Der ehrfürchtige Eintrag in die Geschichtsbücher ist ihm sicher.


Das "Scheitern" des Westens in Afghanistan und letztlich der Rückzug von Frau Merkel aus der Machtpolitik

eröffnete zudem einen klugen imperialen Moment für den Mann im Kreml da. Für jeden Soldaten hier in

Deutschland, aber auch in den US und bei anderen Partnern, insbesondere für viele Afghanistan-Veteranen ist es einmal mehr schmerzhaft, wie wehrlos wir dastehen. Vom ukrainischen Volk ganz zu schweigen. Aber: der Dominoeffekt verfehlter Bündnispolitik hat auch 1914-18 maßgeblich mit verursacht.


Eric Gujer, Chefredaktor der „Neuen Zürcher Zeitung“ überschreibt seinen „Anderen Blick“ am 25.02.2022, also

dem Tag nach dem Überfall auf die Ukraine mit den Worten:

„Putin greift auch den Westen an – die Nato muss eine Renaissance erleben.“

Die berechtigten markigen Worte jedoch verpuffen, wenn da nicht ein ganz entschiedener Wandel auch medial

und kulturell und in unseren Geschichtsbüchern erfolgt. Sprich: eine akzentuierte Aufarbeitung von Geopolitik und ihren Verwerfungen. Und vieles mehr.

Zeit-Herausgeber Josef Joffe und andere haben dies sehr deutlich und pointiert in dem Ausdruck „Vulgärpazifismus“ zusammengefasst. Aus Anlass einer Antwort auf eine Petition von 2009 von Seiten von 25 prominenten Künstlern und Kulturschaffenden für einen Abzug Deutschlands aus Afghanistan bis 2011 hat Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin
Thea Dorn das sehr eindringlich kommentiert:

„Was bedeutet „Krieg“ für Generationen, die einen solchen nie am eigenen Leib erfahren haben und also leichtfertig dem Irrtum aufsitzen könnten, es handele sich um ein verschärftes Rollenspiel? Und wie gehen wir als Öffentlichkeit mit getöteten deutschen Soldaten um? Ein apartes Denkmal am Rande des Verteidigungsministeriums wird nicht genügen.Es ist unredlich, sich diese quälenden Fragen von der Seele zu halten, indem man sich hinter einem Vulgärpazifismus verschanzt, den im eigenen Leben durchzuhalten man keinen Moment bereit wäre.“


Letztlich aber erleben beide Pole immer wieder ihr Fiasko in den letzten 20 und mehr Jahren.

Auch die Begriffe „Resilienz“ und „Vulnerabilität“ müssen wie so vieles mehr in die Zusammenhänge des 21. Jahrhunderts transformiert werden. Das Ereignis „Krieg“ per se bedarf auch in der Hierarchie seiner Kommunikations-ebenen und der vielen Grade von Symmetrie und Asymmetrie der darin zum Ausdruck kommenden Beziehungen

und seiner vom jeweiligen nationalen Erbe geprägten Wahrnehmung einer dezidierten Neubetrachtung.

Letztlich hat eine beiläufige Unterhaltung nach einem Bad in der Strömung des Panjshir-Flusses in Afghanistan zwischen den beiden sowjetischen Panzerwracks hier im Sommer 2009 mir einmal mehr verdeutlicht, dass das Selbstbestimmungsrecht aller Völker stärker ist als alles imperiale Machtgehabe.






2.  Teil


(Kulturelles) menschliches Erbe und seine völlige Schutzlosigkeit


In Afghanistan zeichnete sich ein Scheitern des Westens lange ab.

Im Herbst 2008 erschien von dpa-Journalist Can Merey:
„Die afghanische Misere. Warum der Westen am Hindukusch zu scheitern droht“.

Eine brilliante, vielseitige und vielschichtige Analyse dessen, was 13 Jahre später offenkundige Realität wurde. Am persischen Neujahr Nouruz, 21.März 2010 traf ich Can zufällig vor den leeren Buddha-Höhlen in Bamiyan. Als jemand, der in einer britisch-US-amerikanischen NGO Möglichkeiten für Wiederaufbau von Stadt und Land in Kabul auslotete, hatte sein Buch zu meinen Lektüren zur Vorbereitung meiner Arbeit am Hindukusch gedient.

..

Die Sprengung der Buddhas hat sich am 26. Februar 2022 zum 21. Male gejährt.

DieTaliban sind wieder an der Macht. Das Buch wurde zwar lobend rezensiert. Aber es floppte.
Der Einsatz von rund 150.000 deutschen Soldaten am Hindukusch, von denen 59 in Blechsärgen
zurückkehrten, wird so kaum aufgearbeitet werden können.

Wir schulden dies aber nicht nur den Familien der gefallenen SoldatInnen.


Die Minarette des Musallah Madrasa Komplexes in Herat sind traurige Überreste des „Großen Spiels“ im Westen Afghanistans, unweit der persischen Grenze. Der gewaltige, 1417-32 erbaute Gebäudekomplex wurde 1868 in Kämpfen zwischen russischen und afghanischen Truppen beschädigt und dann in den 1880er Jahren von den Briten und Amir Abdur Rahman Khan, der Afghanistan mit dem Schwert einigte gesprengt. Man befürchtete aus der Sichtlinie,

die das große Bauwerk versperrte die russische Invasion.

Archäologische und Stadtbaugeschichtliche Forschung im Land am Hindukusch bringt immer wieder erstaunliche

und vielschichtige Funde zutage. Diese kann und darf jedoch nicht weiter geführt werden.
Das alleine den zurück an die Hebel der Macht gekehrten Taliban und deren fundamental nationalistischer Exegese

des Islam und der Geschichte des Ortes an sich anzulasten, ist jedoch viel zu kurz gegriffen.

Noam Chomsky sagte unmittelbar nach dem Abzug des Westens und der Machtübernahme der Taliban Anfang September 2021, dass der Hauptgrund für das Scheitern der US dort „Amerikas Intelligenz-Information sei, die selten wirklich zutreffen würde“.

Im Falle der russischen Invasion in der Ukraine wiederum waren US-Informationsdienste

mit ihren Warnungen indes erschreckend präzise.

Corinna Kuhr-Korolev überschreibt einen Beitrag auf „Zeitgeschichte online“ mit dem Titel
„WELTKULTURERBE IN GEFAHR! - Zur Lage ukrainischer Museen, Bibliotheken und Architekturdenkmäler im Krieg“.

Leider steht es um dieses Erbe sehr schlecht. Beim letztlich alles beherrschenden (nationalen)
„Business as Usual“ wird es kaum „zeitnah“ solide Schutz-, geschweige denn Wiederaufbau-Programme geben. Das „vernachlässigte Grenzland“ Ukraine, wie Florian Peters das überfallene Land unter der Fragestellung
„RUSSLANDS ÜBERFALL AUF DIE UKRAINE – EINE ZEITENWENDE?“  bezeichnet, könnte sich so in ein langes und blutiges Schlachtfeld verwandeln. Ein Land, das letztlich bei einer Fläche von fast 1,7 mal Deutschland nur von knapp halb so vielen Menschen bewohnt wird zu beherrschen, erfordert eine brutale Besatzungslogistik, an der auch Putins

Russland lange und zermürbend scheitern wird.




Fossiles Denken, einmal mehr


Die Materialschlacht des militärischen Einsatzes primär von Panzerdivisionen am Boden und ihrer kleinräumigen Luftunterstützung von russischer Seite und die erhöhte Luftabwehrbereitschaft im NATO-Raum derzeit, Mitte März 2022 gleichzeitig mit fünf großen Tankflugzeugen zur Versorgung der Kampfgeschwader dort verweist auf kaum beachtete Kennziffern eines solchen imperialen Denkens.

Im Jahre 2019 ermittelten Wissenschaftler im UK, dass „die US-Streitkräfte, wenn sie ein Nationalstaat wären, der

47. größte Emittent von Treibhausgasen in der Welt wären“.

Chinesische Abwehrbereitschaft konnte ich im Frühjahr 2012 im dortigen Luftraum im, wie auch Parteigranden sagen, „reichen europäischen Osten Chinas“ zwischen Hangzhou, Ningbo und Shanghai im Zuge der deutlich dargestellten Luftabwehrbereitschaft Chinas beim damaligen Säbelrasseln zwischen Israel und Iran reichlich beobachten. Der russische Einsatz jetzt und die NATO-Abwehrbereitschaft werden vom „CO2-Fußabdruck“ dies alles in den

Schatten stellen.


Ökonomie-Nobelpreisträger Abhijit V. Banerjee und Esther Duflo sprechen in „Poor Economics“ von „drei Is“, die hauptverantwortlich für die oft gerade im Rahmen der Bekämpfung von Armut ausweglos erscheinende schlechte Umsetzung von Politik sind: „Ideologie, Ignoranz und Inertia“, also Trägheit und Bequemlichkeit, mangelnde Transfermöglichkeit von Rahmenprinzipien auf das Geschehen auf dem Boden der Tatsachen. Die eingangs

genannte „Irrationalität“ ist da als viertes I den drei Is beizufügen.

Auch Krieg und damit unweigerlich einhergehende „Ungleichheit“ auf allen Ebenen sind da neu zu hinterfragen.

Im reichen und ja doch irgendwie „gesättigten“ Westen redet man immer wieder von „Freiheit“. Die „Gleichheit“ und „Solidarität“ als zumindest ebenbürtige Ziele der Französischen Revolution 1789, dem zentralen Ereignis der „Aufklärung“ indes werden in solchen allzu häufig primär ideologisch geführten Diskursen immer wieder völlig marginalisiert. Daraus resultieren jedoch auch wieder gefährliche Narrativ-Bildungen, die viele Dinge blockieren

und oft zu fest geschriebenen Täter-Opferschemen und anderen Befindlichkeiten führen. Bis hin zum Krieg jetzt
als „beschleunigte Veränderung“. Wohin aber, zu welcher „Nachkriegsordnung“, zu welcher Art von dauerhaftem Frieden, zu welchen Formen von Versöhnung und Vertochterung im schon im Krieg anzulegenden Friedensprozess?

Die Rolle der „Ungleichheit“ selbst hat kein anderer so fundiert in den letzten Jahren immer wieder thematisiert

wie „der französische Rockstar der Ökonomie Thomas Piketty“. Er hat dabei „postdemokratische Entwicklungen“

bei uns, wie auch die weit auseinanderklaffende „soziale Schere“ der Oligarchiebildung in Putins Russland

eindrücklich analysiert.

Einmal mehr muss hier aber betont werden: Es geht hier nicht um „Relativierung“, sondern um „erweiterte Kontextualisierung“. Auch soll hier nichts gegeneinander aufgerechnet werden. Das Leiden des afghanischen Volkes über nun mehr als vier Dekaden ist nicht zu vergleichen mit dem Leiden des ukrainischen Volkes, über das nun „russische Stahlgewitter“ hereingebrochen sind. Wenn der österreichische Journalist und Autor mit afghanischen Wurzeln Emran Feroz in Anbetracht der massiven Fluchtbewegungen der Menschen aus der Ukraine unter dem Titel „Rassismus in der Berichterstattung“ von „Kriegsopfern erster und zweiter Klasse“ spricht, dann spricht er eben auch

für Menschen der Herkunft seiner Ahnen. „Wider das Vergessen“ vergangenen Unrechts, das letztlich genauso gegenwärtig ist wie das nun neu geweckte und vor Augen geführte Unrecht. Das vielfache menschliche Leid

und Elend zwischen den Narrativen stagnierten und rückwärts gewandten Denkens.




3.    Teil


Beschleunigung in den Schrecken des Krieges


Paul Virilio wird mal als „Philosoph“ und „Denker“, mal als Urbanist und „Medienkritiker“ oder „Medientheoretiker“ bezeichnet. Er wurde 1932 in Paris als Sohn eines italienischen Partisanen und einer aus der Bretagne stammenden katholischen Krankenschwester geboren und erlebte in seiner Kindheit im bretonischen, von Nazi-Deutschland besetzten Nantes die Gestapo-Verfolgung seines Vaters wie bald dann auch nach D-Day die Bombardierungen durch die alliierten Streitkräfte. Generell wird auch gesagt:„Der Krieg war seine Universität.“

 

Die von ihm entwickelte Lehre der „Dromologie“ beschäftigt sich mit den Verformungen von Raum und Zeit durch Technologie, Macht und deren Ausübung: Beschleunigungs- und Abbremsvorgänge, deren Steuerung und Auswirkungen auf Mensch und Material.Als er beim „ersten Golfkrieg mit westlicher Beteiligung“ 1991 vor dem Fernsehen die Bilder von „präzisen Nadelstichen ohne zivile Opfer“ sah, schrieb er „Krieg und Fernsehen“ und bezeichnete den Krieg als „Dritten Weltkrieg im Kleinen“. Weiterhin sagt er darin:

„Die Botschaft dieses Medienkrieges besteht weniger in der Information über die Realität der gegenwärtig stattfindenden Kämpfe als vielmehr in der Förderung der Möglichkeit zukünftiger Kriege.“

 

Das dezentrale Geschehen um die "Macht auf der eurasischen Kontinentalplatte", der größten Landmasse des

blauen Planeten zwischen Lissabon im Westen und Wladiwostok im Osten und letztlich auch darüber hinaus verzeichnet aber schon 1979 wesentliche Brandbeschleuniger:

-    Die iranische Revolution wirbelte die Schia auf.

-    Der Angriff auf die heiligen Stätten in Mekka tat dasselbe mit der Sunna. In der Folge wurde die strikte Exegese

     des Koran im Wahhabismus eines der wichtigsten „Exportgüter" Saudi-Arabiens zunächst in der muslimischen

     Welt, von Mauretanien bis Ost-Timor.

-    Zu Weihnachten 1979 startete die Sowjet-Invasion in Afghanistan, das einer der kontinuierlichen Brandherde

      dessen, was man vielleicht schon als Dritten Weltkrieg bezeichnen kann war. 

-    September 2001dann und die Folgen weiteten das Geschehen nochmals aus.

-    Die Jugoslawienkriege und Tschetschenien und viele andere lokale Brandherde, etwa auch der

      „Blitzkrieg“ im Herbst 2020 um Nagorni Karabach  und andere Stätten zwischen dem eher konventionell 
      kämpfenden Armenien und Aserbaidschan, das die gegnerischen Truppen mit Drohnen ausschaltete, seien
      hier nur am Rande genannt.

-    Aserbaidschan war primär durch seinen Ölreichtum fähig, die teure, letztlich in Afghanistan und Pakistan vom

      Westen ab 2009 perfektionierte Drohnentechnik, hier jetzt aus israelischer und türkischer Produktion einzusetzen.

-    Der längst vergessene, im Westen kaum wirklich registrierte Einmarsch russischer Truppen tief ins benachbarte

      Georgien hinein 2008, wie Nino Aivazishvili-Gehne, Alina Jašina-Schäfer und Jannis Panagiotidis erneut auf

      „Zeitgeschichte-online“ bemerken, verdient da auch eine Neu-Betrachtung in diesem Zusammenhang.

-    Syrien und einmal mehr der Irak, Libyen , Jemen: generelle Konflikte zwischen regionalen Mächten an eher fremden        Orten mit anderen Völkern und ihrem vielseitigen und vielschichtigen Erbe, also: „Zentrum“ und „Peripherie“-       

      Konflikte zwischen verschiedenen Akteuren und ihren Stellvertretern; die „ähnliche Handschrift“ von massiven

      Bombardierungen etwa von Aleppo in Syrien und Mariupol nun in der Ukraine: um zu generellen vorläufigen 

      Schlussfolgerungen und einem insofern erweiterten Überblick zu gelangen, werden wir parallele Linien in diesen

      komplexen Sequenzen von Ereignissen finden müssen.


Auch Armenien, auch die Ukraine, auch Georgien, auch all die anderen hier genannten Orte weisen viele Kulturstätten auf, die in diesen Kriegen zerstört werden oder sonst wie im Zuge ihrer Neu-Aneignung auch durch neue, ihnen aufoktroyierte Erzählweisen verloren gehen. Gemeinsames „eurasisches Erbe“. „Globales Erbe der gesamten Menschheit“ mithin.


Karolina Wigura und Jaroslaw Kuisz beschreiben unter dem Titel „Osteuropa und die Angst vor dem Verrat durch

den Westen“ die berechtigten,  im kollektiven Gedächtnis der Völker Osteuropas eingebrannten Verlustängste

dazu auf eindrückliche Weise in der NZZ.

Gerade Polen und die baulich manifeste Identität von Rekonstruktion und Wiederaufbau aus den Ruinen dort sind höchst bewundernswert.

„UN-Urbanismus“ und so genannter „Post-Conflict-Urbanismus“: vermögen damit auch nur ansatzweise Antworten

auf „kriegsentscheidende Fragen und Herausforderungen“im 21. Jahrhundert gegeben zu werden? Virilio sagt auch

in seinem ersten Buch "Bunkerarchäologie" von 1975 in einem Nachwort zu einer Neuauflage von 2008 damals, dass das 21.Jahrhundert Gefahr läuft, dem unfassbaren Ereignis des Genozids nun den Ökozid folgen zu lassen.

 

Dem in seinem Ausmaß und seiner Durchführung unermesslichen Genozid der Nazis folgten viele weitere Genozide. Die dabei immer wieder zugrunde gelegten Erzählweisen indes zeichnen ein oftmals tragisches Bild von Menschen und ihren Motiven und Beweggründen.

 

 


Das 21. Jahrhundert: wēijī - Krise = Chance und Gefahr

 

Auch das „Projekt für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert (PNAC)“ war von „fossilem Denken“ im wahrsten Sinne des Wortes durchsetzt: fast alle Mitglieder der ersten Bush-Administration 2000 - 2004 entstammten der „Öl-Lobby“

der US. Viele waren auch im PNAC – Manifest für den „Neu-Aufbau amerikanischer Verteidigungsfähigkeit“ federführend. Der direkte Zugriff auf die Ölquellen im Nahen Osten war damals direktes imperiales Ziel der Agenda.

Der Rest ist Geschichte. In all ihrer Tragik. Leid in Freude zu verwandeln indes ist einer der wichtigsten Samen für Hoffnung.

 

Im Rahmen der forcierten Sanktionen gegen Russland der hastige Aufbau jetzt von LNG-Terminals für Fracking-Gas

aus Qatar und Nordamerika, das russische Gas-Importe in Mitteleuropa, insbesondere Deutschland ersetzen soll, ist

ein Schlag ins Gesicht der indigenen Einwohner Nordamerikas. Gerade "Native Americans“, in Kanada "First Nation People" haben über Jahre gegen Keystone XL und die Gefährdung der Trinkwasserreservoire auch ihrer Ahnen durch die Pipelines und Fracking protestiert. Einer der führenden und auch zeitlich ersten Klimaforscher der US, der frühere Direktor des NASA-Goddard Institute for Space Studies (GISS) James E. Hansen ließ sich auch dort bei Protesten

einmal mehr verhaften.

 

Ein weiterer „Sündenfall“ auch der grünen Partei, die ja einmal antrat, Umweltbelange parlamentarisch durchzusetzen? Stehen sich da das erste Ziel „Bewahrung des nationalen Wohlstands“ in Deutschland, und das zweite Ziel „Selbstbestimmungsrecht indigener Völker“ in Nordamerika (und im Grenzland Ukraine!)  und drittens, „die globale Bedrohung durch den Klimawandel“ und viertens “Ächtung eines Aggressors”, der die “angenommene Rationalität internationalen Rechts, also des so genannten  Völkerrechts = bi- oder multilateraler Abkommen und ‚Mindeststandards‘ mit Füßen tritt” unversöhnlich gegenüber und welche Chancen können da wie anvisiert werden?
Anders herum gefragt: Was ist “Realpolitik” im 21. Jahrhundert? Wie “realistisch” indes ist Realpolitik in Anbetracht der Reaktion auf die durchaus für die meisten Menschen sehr abstrakten Bedrohungen, insbesondere im Hinblick auf die globale Erderwärmung? Und wie unterscheidet sich da ein entsprechend erforderlicher “Realismus” vom letztlich immer wieder bemühten “Idealismus” des 20.Jahrhunderts?

All diese hier aufgeworfenen Fragen sind dabei sicher weniger der grünen Partei anzulasten als vielmehr einem

“post-demokratischen” und “neoliberalen Geist”, der jegliches Denken über den Tellerrand hinaus ausklammert. Progressive Bewegungen sind darin gefordert, diese Erstarrung aufzubrechen und entsprechende, nicht immer ungefährliche Wege aus den Gefahrenzonen heraus zu ebnen. Eine Aufgabe, die über die üblichen Termini von Wahlperioden hinausgeht.

 

Noam Chomsky datiert das „Befreien des Flaschengeistes“ des Anthropozän auf den 6. August 1945, den Abwurf der ersten Atombombe der US auf Hiroshima.

Wer „With the Old Breed“ – “Vom alten Schlag” von Eugene B. Sledge gelesen hat indes, der kann vielleicht etwas besser die grausame Dimension des „Pacific War Theaters“ nachvollziehen. Auch diese Geschichte, mit den Augen

eines jungen Marines und späteren Biologieprofessors aus Mobile / Alabama erzählt, ist eine läuternde und würdevolle Abrechnung mit dem Krieg. Menschliches Leid und die Solidarität unter Kameraden, aber auch die respektvolle Betrachtung des Menschen, der ein Todfeind im Krieg ist: so etwas vermag man wohl durch die Begegnung mit Zeitzeugen und das Lauschen ihrer Erfahrungen kaum annähernd zu beurteilen. „Meinungen“ und „Erfahrungen“

sind eben ganz verschiedene, auf völlig anderen Ebenen spielende Dinge. Erfahrung von Menschen nun in der

Ukraine, die gegebenenfalls schon die Gräuel des 2. Weltkrieges überlebt haben, ist kaum zu ermessen.

 

„Genozid“ und „Ökozid“ haben viele Gesichter. Viele Ebenen.

Im 2020 mit Robert Pollin herausgegebenen Buch „Climate Crisis and the Global Green New Deal“ zitiert Noam Chomsky den australischen Klimaforscher Andrew Glikson mit einer Aussage aus dem Jahre 2018:
„Klimaforscher sind nicht mehr alleine damit, mit der globalen Notsituation Schritt halten zu müssen. Deren Auswirkungen haben auch das Verteidigungs-Establishment erreicht. Die Welt fährt fort, weiterhin 1,8 Trillionen Dollar jährlich für das Militär auszugeben. Eine Summe, die eigentlich für den Schutz des Lebens auf der Erde aufgewendet werden sollte. Während die Gefahr größerer Konflikte stetig zunimmt – im Chinesischen Meer, der Ukraine, dem Mittleren Osten, fragt sich doch: wer verteidigt den Planeten Erde?“ (S.5)

 

Auch deutsche Politiker sprechen in diesen Tagen von der Gefahr eines „3. Weltkrieges“. Das überwältigende Gefühl der Angst ist ihnen dabei deutlich anzuhören und anzusehen. Alleine die letztlich überwiegend auf das kollektive Gedächtnis des vergangenen 20.Jahrhunderts basierende Wahrnehmung von Krieg per se in der „internationalen Gemeinschaft“ ist so verschieden wie das Erbe der verschiedenen Erfahrungswelten und der damit verbundenen Erzählungen.

In Deutschland verbindet man damit zumeist Ereignis und Dimension des „Totalen Krieges“. Die Belagerung

und damit einhergehende Zerstörung von Mariupol indes weist in der blindwütigen Zerstörung erst der lebensnotwendigen Infrastrukturen, dann der Behausungen und Schutzräume der Bewohner derselben

beim Schaffen eines Landkorridors zwischen Russland und der Krim mit dem strategisch wichtigen

Hafen Sewastopol genau dieses Kaliber auf.

 

„Ökozid“ und „Genozid“ liegen da eng beieinander. Die mutwillige Zerstörung des Habitats, des vertrauten Schutzraumes von Menschen und die mangelnde Bereitschaft, kulturelles und soziales Erbe der

Menschen an ihrem jeweiligen Ort zu schützen gehen da ineinander über.

Eine Welt am Abgrund? Vielleicht. Viel Zeit hat die Spezies Mensch auf diesem Weg nicht mehr.

 

Sowohl Trump als auch Putin waren oder besser sind vehemente und höchst aggressive Leugner des

anthropogenen Klimawandels. James E. Hansen, der damals noch bei der NASA beschäftigt war, berichtet

von haarsträubenden Schikanen und Fälschungen, bis hin zur Zensur seiner Arbeiten unter der Administration von George W. Bush in den 2000er Jahren.

Die Biden-Administration jetzt verfolgt das letztlich nationalistische Mantra „America first“ (and alone there) in

erster Linie aus Gründen des Appeasements gegenüber der „Grand Old Party“ GOP im „bipartisanen System der US“ undercover weiter. Will sagen: sie hat kaum wirklich weiter gehende Entscheidungsmöglichkeiten. Oxford Physik-Professor Raymond Pierrehumbert unterstreicht insofern in seiner Betrachtung des damaligen IPCC-Reports 2018 Gretha Thunbergs Worte, dass es Grund genug für Panik gibt hinsichtlich der Zukunft des Habitats Planet

Erde für die Menschheit. Für uns.

Auch die kanadische Journalistin Naomi Klein stellt im Intercept am 1. März 2022 einmal mehr Vergleiche an, die für „Realpolitische Beschwichtiger“ kaum denk- oder nachvollziehbar zu sein scheinen: „Toxische Nostalgie. Von Putin zu Trump zu den Trucker Convoys“, die als Protest gegen Pandemie-bedingte Einschränkungen ihrer „Freiheit“ und mehr schon länger die kanadische Bundeshauptstadt Ottawa belagerten. Im Untertitel konstatiert sie nüchtern:

“Krieg formt unsere Welt neu. Werden wir alles für die dringende Notwendigkeit für die Bekämpfung des Klimawandels mobilisieren oder werden wir einem letzten, tödlichen Öl- und Gas-Boom unterliegen?“

 

Die eingangs schon erwähnten „drei, nun vier I’s“: Ideologie, Ignoranz und Inertia, also Trägheit und Indifferenz und Irrationalität kann sich die menschliche Spezies, können wir uns nicht mehr leisten. Der Globalen Erderwärmung können wir aber auch nicht mit nationalen Wohlstandsprogrammen wirklich begegnen.

 


Die Erfordernis „post-fossiler Friedensordnungen“ schon im Krieg selbst

 

2011 fragte ich einen Klimaforscher auf einem Symposium der TU Dortmund zur „Stadt im Klimawandel“, ob er trotz

des stetig wachsenden Datenpools der aus vielen Wissenschaften hergeleiteten Klimaforschung so präzise das damals, vor dem Pariser Klimaabkommen 2015 noch vorherrschende 2°C-Ziel vorhersagen könne. Letztlich meinte ich, dass wir bei weiterer Verdrängung weit über die 2°C hinausschießen würden. Etwas, was David Wallace-Wells in „Die Unbewohnbare Erde – Leben nach der Erderwärmung“ wie kein anderer akribisch recherchiert darstellt.

Der Referent in Dortmund seinerzeit jedoch sah sofort einen „Klimaleugner“ in mir.

 

Es war kurz nach meiner Rückkehr aus Afghanistan. Dort und an anderen Orten Südasiens hatte ich die Folgen der Erderwärmung und die völlige Schutzlosigkeit der Menschen in Anbetracht vernachlässigter, überlasteter und zu großen Teilen auch zerstörter „traditioneller“ wie auch „moderner, also im weitesten Sinne technischer Infrastrukturen“ eingehend erforscht und darauf basierend ja auch (Wieder-) Aufbaukonzepte entwickelt.

 

Globale Themen können niemals national gelöst werden. Wohl aber bedarf es grundlegender Konzepte, die lokal umgesetzt und auch geschützt werden. Wasser Infrastrukturen und das kulturelle und soziale Erbe des Ortes und seiner Gemeinschaften von Mensch und Kreaturen dort sind diese Grundelemente des Daseins, die dringendst geschützt und gerade nach einem Krieg wie jetzt in der Ukraine in diesem Kontext wieder aufgebaut werden müssen. Dafür braucht man viele Hände und einige Köpfe, die dies auch steuern und lenken. Die aber gerade auch die partizipativen Elemente des gesamten Vorhabens fördern.

 

Das seltsame Desinteresse der Öffentlichkeit daran, das ich immer wieder verspürt habe: letztlich an den vier I‘s: Ideologie, Ignoranz, Irrationalität und Inertia, Trägheit ist der Westen in Afghanistan gescheitert. Er wird auch in der Ukraine scheitern, wenn er Putin und den anderen Despoten der Welt nicht diesen entschiedenen Willen zu einem strategisch klugen und „nachhaltigen“ Willen zur Umsetzung eines solchen integrativen und auch wehrhaften Friedensprozesses entgegensetzt.

 

Derzeit sieht es nicht so aus, als würde man das überhaupt realisieren wollen. Scheinbar ist man mit dem Krieg

völlig überfordert. Dass man etwa, wie Marc-Felix Serrao in der NZZ konstatiert, im Bundestag nicht einmal einen demütigen Blick nach unten und eine Geste zur Entschuldigung für die Fehleinschätzung von Putins Irrationalität gegenüber dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskyj parat hatte: das ist zutiefst beschämend. Stattdessen gibt es nun vermehrt öffentliche Debatten darüber, ob Putin einer komplett rationalen Agenda folgt oder ob er vielleicht völlig irrational oder gar auf eine “psychotische Weise” agiert.  

Fakt indes scheint doch eher, dass einzelne Menschen, vorwiegend Männer einsam über die Geschicke der Welt entscheiden. Dass vermutlich dieselbe Person Befehlshaber für die Flächenbombardements von Aleppo in
Syrien 2016 wie auch für die flächendeckende Zerstörung und grausame Belagerung nun von Mariupol, der
russische Generaloberst Michail Misinzew
ist, das sollte da eher zu denken geben. Das menschliche Leid und massenhaftes Sterben in den Ruinen ihrer zerstörten Heimat dahinter ist das eine. Im Falle von Aleppo wurde
eine der an kulturellem Welterbe reichsten Städte nicht nur des Nahen Ostens zerstört. Dieses Erbe wieder für kommende Generationen herzustellen und erlebbar zu machen: das geht wohl kaum mit Videospielen. Heimat
und die entsprechenden Schutzräume darin sind etwas, was als universelles Menschenrecht neu definiert
werden muss.

Parlamentarier werden so leicht zu „Gefechtsfeldtouristen“ wie Heike Groos (1960-2017) sie nennt, die aber von dieser Warte aus über Kriegseinsätze der Bundeswehr wie in Afghanistan zu entscheiden haben. Sie scheinen da eine Art „postheroisches Distanzproblem“ mit der Todesnähe in „Ausnahmesituationen“ zu haben. Und letztlich ist der
Krieg eine solche verstetigte Situation.

 

Man darf aber hier auch nicht vergessen: die Dämonisierung Putins im Westen, insbesondere in Osteuropa
hat auch zu einer „sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ geführt. Der einsame Despot im Kreml, der da in seiner geschichtsrevisionistischen Blase gefangen war, hat sich letztlich vorerst aus dieser befreit, bevor er für sich selbst
keine Atemluft mehr in dieser Situation finden konnte. Die Trümmer jetzt des Platzens dieser Blase indes
erschrecken letztlich alle.

 

In „Die Traurigkeit der Erde“ erzählt Éric Vuillard die Geschichte von Buffalo Bill und Sitting Bull neu. Das folkloristische Massenspektakel des Wild-West-Darstellers und die traurige Rolle des letztlich vorgeführten stolzen Sioux-Häuptlings darin: hoffentlich wird es über die gleichfalls höchst asymmetrische Beziehung von Wladimir Wladimirowitsch Putin und Wolodimir Selenski dereinst andere Geschichten zu erzählen geben.

 

„Wasser, Gerechtigkeit und die Würde des Menschen“ sind da zusammen „neu“ zu denken. Wasser, das fließende Element. Lebensspendende Quelle. Und Bedrohung. Rund 70 % unseres Körpers. Im Kind rund 80%. Im Alter abnehmend. Im Austrocknen und Verwüsten des Körpers. Des Seins, das da abfließt. Das sich vielleicht an der Trockenheit von Erfahrung dann labt.

 

Dinge, Beziehungen, Sein und Werden und die Erzählweisen dazu „neu“ zusammendenken.

Kein leichtes Vorhaben, wenn der Blick immer wieder durch den eigenen Tellerrand begrenzt wird. Und
wenn dies auch bedingungslos gefördert und gefordert zu sein scheint.

Der Krieg in der Ukraine macht uns noch einmal deutlich, an welchem Scheideweg wir stehen. Nicht nur die

tapferen Menschen in der Ukraine selbst. Wir alle, die Spezies Mensch.

 

Soweit pointiert noch einmal zum "fossilen Denken" und den offenkundig in unserer Zeit dar liegenden Brüchen.

Diese einem in alten Erzählweisen in neuem Gewand verfangenen Denken und Handeln entstehenden Brüche erfordern vielfache und vielseitige kluge Diskurse. Diskurse, die auch zum Handeln, und einer Art von Gegenwehr geführt werden, die den Frieden und die Wertschätzung, die Würde von Orten und Menschen

„im nachhaltigen Sinne“ auf den Schirm hebt.


 


„Wieso funktioniert hier nicht, was bei Euch geklappt hat?“

 

Die „Sicherung der neuen Außengrenzen des freien Europas“, von der auch Annalena Bärbock nach

der dritten Woche des Krieges spricht, erfordert mehr Einsatz. Egal, welches „bittere Szenario einer neuen Friedensordnung den Krieg zwischen Russland und der Ukraine für beide Seiten Gesichtswahrend“ erst

einmal beenden wird: hier ist eine völlige Neuorientierung globaler Sicherheitspolitik erforderlich.

Die „neuartige internationale Allianz“, von der Wolodimir Selenskyj vor dem US-Kongress spricht, die die Aufgabe

hätte, „im Falle von Kriegen sofort einzugreifen“: diese müsste auch mit einem Neu-Aufbau der UN einhergehen.

Einem Umbau, der eine bürokratische Verschlankung zu mehr Pragmatismus und mehr direkter Arbeit auf dem

Boden zur Folge hätte. Der in der Folge des 2. Weltkrieges den UN und dem „Völkerrecht“ zugrunde liegende Nationenbegriff kann viele bedrohte Völker und Menschen ohnehin kaum noch schützen. Wie die vergangenen Dekaden immer mehr gezeigt haben. Die „United Peoples“ unter dem Dach der UN, als ebenbürtige Partnerorganisation müssten genau dieses Vakuum aufnehmen.  

 

Dieser institutionelle Neu-Aufbau indes erfordert überhaupt die Formulierung eines klaren politischen Willens.

Und im Vorfeld eine entsprechende multilaterale Herangehensweise an Kriegsursachen und Kriegsfolgen. Das

betrifft auch maßgeblich die „Wehrhaftigkeit“ der Bevölkerung. „Resilienz“, also im weitesten Sinne „Widerstandsfähigkeit gegen viele Art von Bedrohungen“ geht nur mit einer gemeinschaftlichen

Identität und gemeinschaftlichen Zielsetzungen. Davon sind wir noch weit entfernt.

 

Es dürfte völlig klar sein, dass die ukrainische Armee derzeit manche strategisch wichtigen Städte großräumig

mit allen zur Verfügung stehenden Formen von Landminen bereits „gesichert“ hat gegen die Invasoren. Städte, in denen Menschen auch unter dem Geheul der Sirenen noch ihrer täglichen Arbeit nachgehen. Die Sirenen heulen ja auch außerhalb der sich täglich verschiebenden Frontlinien am Boden, wo aufgrund des stetigen Überflugs der klein- und großräumigen Luftunterstützung der Bodentruppen des Invasors eben nur der Luftraum bisher vom Feind beherrscht wird. Währenddessen wollen viele Menschen auf dem Boden eben solange ihrem „normalen Leben“ insbesondere im Dienst für die Gemeinschaft folgen, wie es eben geht.

 

Die Definition von „Conflict“ und „Post-Conflict“ ist in diesem Sinne, in dieser Gegenwart zudem noch einmal neu

zu denken. Es zeichnet sich deutlich ab, dass ein langer und erbitterter Stellungskrieg hier folgen könnte. Ein „Bürgerkrieg“ – ein anderer Terminus, der in seiner Vielschichtigkeit und seinen vielen Facetten nun zudem neu begreifbar werden sollte.

 

Karl Schlögel, Prof. em. für Osteuropäische Geschichte in Frankfurt / Oder schrieb 2015 in „Entscheidung in Kiew. Ukrainische Lektionen“ auf der vorletzten Seite (289):
„„Nun bekommen wir es mit einem Ernstfall zu tun, für den wir, was die dafür notwendigen Denkmittel und Verhaltensformen angeht, denkbar schlecht gerüstet sind, um von den praktischen Formen der Friedenssicherung,

die auch militärische Wehrhaftigkeit einschließt, gar nicht zu reden.“

Er schrieb dies 2014 / 15. Sieben bis acht Jahre später lesen sich seine warnenden Beobachtungen so, als wäre

er jetzt in diesem Moment vor Ort. Aber es ist weniger das: es ist vielmehr das im eigentlichen Sinne des Wortes „Interesse“, das Dazwischen-Sein an Orten und mit den Menschen dort, was Chronisten wie ihn, wie Can Merey zu „Mahnern in der Wüste“ macht. Zu Kassandras, deren Warnrufe wie so oft und immer wieder überhört werden.

 

Afghanistan ist weiter weg. Das Fiasko des gesamten Westens dort war lange vorhersehbar und wurde von vielen

auch so befürchtet. Dennoch hat „die internationale Gemeinschaft“ sich schlafwandelnd träge wie eine Dampfwalze dort fortbewegt. Schlögels „wir“ verdeutlicht im Falle der Ukraine einmal mehr, wie naiv und blauäugig wir da waren. Der Weg zu einer „post-fossilen Friedensordnung“, geschweige denn zu einem „nachhaltigen Wiederaufbau“ wird

nur über die realistische Betrachtung unserer selbst im Krieg dort verlaufen. In Anbetracht aller anderen

begleitenden Krisenszenarien bedarf es da größeren Pragmatismus und des entschiedeneren Einbringens

vielfältiger Erfahrungswerte. Bottom-up sowie top-down.

 

Ein Gespräch mit Richard Ned Lebow, Professor für Internationale Politische Theorie am King's College

in London in der NZZ am 19.03.2022 unter dem Titel
„Geld? Macht? Nein, wir führen Kriege aus ganz anderen Gründen“

führt dies noch einmal weiter. So wie wir über den fragilen Zustand interner und externer Lebenssysteme im

Rahmen des stetig wachsenden Datenpools der Klimaforschung stetig neu lernen und mit immer neuen

Chancen und Gefahren für unsere eigene Existenz konfrontiert sind, so stellt Putins Invasion in der Ukraine

uns alle auch im Hinblick auf Konflikte und ihr Wesen per se vor neue oder besser: lange verborgene Chancen

und Gefahren. Herausforderungen, denen wir uns stellen sollten.

 

Dafür ist per se auch gerade von Deutschland mehr „Interesse“, also wirkliches „Dabei-und Dazwischen-sein“

beim „Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur“ gefordert.

Der neue Riss, der da durch Europa und die Welt geht, erfordert viele andere und weiter- und tiefer

gehende Betrachtungs-, Diskurs- und auch Handlungsmöglichkeiten.

 

Die Frage nach dem wohin des „Post-postmodernen Menschen“ habe ich schon 2014 ohne auch nur den Hauch

von Antworten in den Raum gestellt. Auch den damals entstehenden „Riss durch Europa“ habe ich deutlich beschrieben. Die Ukraine war damals noch ein komplett weißer Fleck, eine „terra incognita“ für mich. Vielleicht

lernen wir auch zu langsam über die vielen Völker dieser Erde. Und über deren Lebensräume. Über den Planeten

selbst in seiner hohen, uns immer wieder neu vor Augen geführten Zerbrechlichkeit.

Der Riss, den ich 2014 bemerkte: er ist nun zu einer blutverschmierten und bald eiternden Wunde geworden.

Aber auch das ukrainische Volk, dessen Leid und dessen Blut diese Wunde derzeit uns vor Augen führt, ist keine homogene Masse. Gerade drum benötigen wir neue und offenere und flexiblere Herangehensweisen an die

Völker und ihre Konflikte.

Auch davon sind wir hier in Deutschland, in West- und Mitteleuropa insgesamt noch weit entfernt. In

Deutschland indes macht sich dieses langsame Lernen voneinander aufgrund seiner Machtposition

immer wieder ganz fatal bemerkbar.

 

Der Wiederaufbau einer neuen Friedensordnung und einer neuen Sicherheitsarchitektur ist eine

Herausforderung, in der die Erfahrung aus Deutschland nach dem 2. Weltkrieg ganz maßgeblich ist. Aber auch

und gerade die Erfahrung aus Polen und der Ukraine selbst ist da ganz maßgeblich: Ländern, die schließlich

von der Wehrmacht überfallen und dann von der Roten Armee noch einmal zerstört wurden. Ein Wegsehen,

wie es die Parlamentarier da im Bundestag wohl doch irgendwie zuletzt beim Gespräch mit Selenskyj dargelegt

haben und ein Übergang zur Tagesordnung im Anschluss: das geht so einfach nicht.

Dafür sind die Ereignisse der letzten Jahre und Jahrzehnte doch etwas zu einschneidend. Dafür sind Krisen

und damit verbundene Chancen und Gefahren zu gewichtig.

 

Letztlich gilt es nun, auf den Böden der Tatsachen dem zu folgen, was mich ein US-Hubschrauberpilot

im September 2009 in Kabul fragte:
"Why do things here not work out the way, they worked out with you guys?"
Unser Gespräch davor und danach ist denkwürdig. 

 

Der universelle Spruch „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ ist in den letzten 20 + Jahren immer mehr einem „Schlimmer

geht immer“ gewichen. Die Beschleunigung der Vorgänge auf dem Weg zurück in finsterste Zeiten überfordert

die meisten Menschen zusehends. Die Antworten auch bei uns hier werden immer dünnhäutiger. Wenn sie

überhaupt kommen.
Die Zukunft, letztlich eine Projektion einer erhellten, aus der Vergangenheit erwachsenen Gegenwart verraucht

dabei zusehends. Nachrichten von der Verschiebung der nächst gelegenen Kriegsfront und von

Rekordtemperaturen in Arktis und Antarktis überlagern einander. Die Menschheit gibt immer mehr ihr eigenes Schicksal im Anthropozän auf. Bleibt so ein graues Bild von uns, die wir die vielen Warnzeichen stetig ignoriert

haben? Oder vermögen wir da noch gegenzusteuern? Gemeinsam?

Einen „wehrhaften Aufbruch“ benötigen wir auf vielen Ebenen, zu vielen Seiten hin. Wenn die US nun an ihre

fossilen Brennstoffreserven geht und diese weiter öffnet: rettet sie dann das „neoliberale Projekt des Business

as Usual“ und startet einen neuen Wettlauf um vorwiegend fossile Rohstoffe und ihre Verfügbarkeit? Sind

„Big Oil and Gas“ also der vorläufige Gewinner auch dieses Krieges?

Es wäre höchst fatal.

 

Den Frieden gewinnen ist die eigentliche Herausforderung jeden Krieges.

„Bellizismus“ wie „Appeasement“ und „Vulgärpazifismus“ erleben stetig ihr Fiasko in den letzten Jahrzehnten.

Es wird Zeit, endlich andere Ansätze zu beleben. Allerhöchste Zeit.

 

„Den Krieg vom Ende her denken“ vermag dabei so etwas wie eine Überlebensstrategie werden. Nicht nur für die Bürger der Ukraine. Auch für andere Bürger Europas. Und der Welt.

Die Welt ist ein faszinierender, ein wunderschöner Ort.                     

 

 

 

Alle Fotos © beim Verfasser






Petition auf Change.org und auf WeACT




Wiederbelebung des

"European Recovery Program (ERP)" und

Regenerations- und Aufbauprogramm für
den Nahen und Mittleren Osten

("Near and Middle Eastern Recovery Program (NMERP)")


Geschichte wiederholt sich nicht. Aber gewisse Schemen schon. Insbesondere, wenn kurzsichtig vereinfachende Rechthaberei bei der Beurteilung komplexer Situationen überwiegt, ist das Lernen aus der Geschichte erschwert,

wenn nicht gar behindert. Wenn es sich zudem um weit entfernte Orte und deren Geschichte handelt,

schalten viele Menschen ohnehin schnell ab.

 

„Die afghanische Misere“, die nach dem Abzug der Sowjets 1989 mit einer Implosion des Landes im Bürgerkrieg weiterging und dann in die Diktatur der Taliban mündete, scheint nun nach dem Abzug der westlichen Truppen

in eine erneute Herrschaft der islamischen Fundamentalisten zu führen. Daneben zeichnet sich aber auch ab,

dass das Land am Hindukusch zudem noch einmal verstärkt zum Schauplatz von Kämpfen zwischen

internationalem IS und lokalen Taliban werden könnte. Mit dem afghanischen Volk in Geiselhaft dazwischen.

 

Jeder, der selbst vor Ort gearbeitet hat in den letzten zwanzig Jahren, ob als SoldatIn oder als ZivilistIn konnte

eigentlich erkennen, dass nur mit "ausgleichenden Maßnahmen" zwischen reich und arm das Land auf einen friedlichen Weg gebracht werden könne. Ein langwieriger Prozess. Aber: auch Deutschland und Europa sind

nach der Verheerung insbesondere des 2. Weltkrieges nicht sofort aus den Ruinen auferstanden.

Auch diese Regeneration und Wiederaufbau benötigten viel Zeit.

 

Das „Scheitern des Westens“ und des „Krieges gegen den Terror“ am Hindukusch: vielleicht liegt es auch

daran, dass der Willen, das ganze Land und seine Menschen aus ihrer Misere zu befreien nicht sehr

ausgeprägt war. Anders herum gesagt: die demütige Erkenntnis, dass Regeneration und Wiederaufbau

für alle Schichten notwendig ist, hatte keine Chance. Eine demütige und respektvolle, zutiefst menschliche

Erkenntnis, die George C. Marshall, der ja durchaus einer der US-Generäle war, die Nazi-Deutschland

entscheidend bezwangen mit seinem "European Recovery Program (ERP)" 1947/48 an den Tag legte.

Was aber in den US durch Senator McCarthy und andere sogleich torpediert wurde und dann 1951 zum

Rückzug des verdienten 5-Sterne Generals und Begründers des „Marshallplans“ aus der Politik führte.

 

Wie moderat die Taliban nun weiter mit sozialen und mehr oder weniger unpolitischen Einrichtungen umgehen werden, das wird sich zeigen. Vor 25 Jahren hat die erste Generation der Koranschüler wichtige Sozial- und Entwicklungsdienste beschützt. Auch wenn diese in „westlichen Händen“ lagen. Wie es damit weiter geht,

das hängt auch von der Aufarbeitung im „Westen“ ab. Also: in den US und ganz besonders hier in Europa.

Schließlich trennt uns vom „Nahen und Mittleren Osten“ und darin auch der „zentralasiatischen Brücke“

zwischen Süd-und Ostasien kein atlantischer Ozean.

Letztlich zeigt sich in der Art des „Scheiterns des Westens“ in Afghanistan einmal mehr, dass der

„Krieg gegen den Terror“ schon lange zu einem Krieg „oben gegen unten“, „reich gegen arm“

geworden ist. Ein „Ausgleich“ und ein entsprechendes Aushandeln der Themen des 21. Jahrhunderts

erfordert auch den Willen dazu. Mithin: einen kulturellen Wandel auch der sich zivilisiert und aufgeklärt

nennenden Welt.

 

Die mit der Kriegsmüdigkeit der Afghanen und der Auslieferung an die Taliban einhergehenden

Fluchtbewegungen von dort erfordern ein wirkliches Herangehen an „Fluchtursachen vor Ort“. Auch die

steigende Zahl von zahlungsunfähigen Staaten insgesamt im „globalen Süden“ in Folge von Krieg und

Inflation gebietet da endlich drastische Änderungen.

Zumal: der Klimawandel und seine im „globalen Süden“ viel stärker und seit viel längerem spürbaren

Auswirkungen erfordern zur Erhöhung lokaler Resilienz und damit maßgeblich auch Bekämpfung von

Fluchtursachen und Kriegsgründen bessere Zusammenarbeit beim Aufbau von Infrastrukturen.

Wasser- und Nahrungssicherheit sind hier einmal mehr die Hebel, an denen anzusetzen ist.

Und da sitzen wir alle in einem Boot. Und sind gefordert, viel zielgerichteter zusammenzuarbeiten.

Es geht immer und überall um Menschen. Um Land und Leute wirklich kennenzulernen und herauszufinden,

was „not tut“ muss man die Orte genauer und mit offenen Augen betrachten. Man muss den Menschen

und ihren Geschichten zuhören. Man muss auch ihre Wunden ansehen.

Und: Afghanistan ist ein tief verwundetes Land. Wie überall finden sich auch unter der Mehrheit der Afghanen großartige Menschen. Auch ihre Leben zählen. Was jedoch not tut, und wie man Frieden und verbesserte Lebensbedingungen mit und für mehr Menschen erreicht: das bedarf einer Neu-Ausrichtung von Handels-

und Außenpolitik. Einer vertieften und multilateralen Herangehensweise zudem.

 

Deswegen sollten wir jetzt den Weg zu einem umfassenden “Regenerations- und Aufbauprogramm für den

Nahen und Mittleren Osten”-  "Near and Middle Eastern Recovery Program (NMERP)" bereiten. Eine

erneute Belebung des "European Recovery Program (ERP)" sollte dies parallel dazu bewirken.

Es ist höchste Zeit dafür. Respekt vor der UN-Menschenrechtscharta, vor der Würde aller Menschen

per se sollte dabei Grundbedingung für jede Vereinbarung sein.




Petition auf Change.org und auf WeACT







Bibi Mahroon Hügel in Kabul mit dem  Sprungturm aus der sowjetischen Zeit (1980) und einem Plakat  von Ahmad Shah Massoud vor diesem. Der afghanische Nationalheld wurde von Al Qaida am 09. September 2001 ermordet.  Sein Sohn Ahmad Massoud konnte nun, im August / September 2021 ihre Provinz Panjshir nicht lange gegen die Taliban verteidigen. Vielleicht wollte er den Krieg aber auch nicht erneut verlängern. Wir wissen es nicht. Aber wir sollten jede Bewegung zu Frieden im Lande ermutigen.









Afghanistan und die „Mahner in der Wüste“


27. August 2021 – nach der erneuten Machtübernahme der Taliban


Peter Scholl-Latour und Helmut Schmidt werden in diesen Tagen immer wieder als „Mahner in der Wüste“

im Hinblick auf das Scheitern des Westens in Afghanistan genannt. Insbesondere auf Scholl-Latour

(1924-2014) wird häufig verwiesen. Altkanzler Schmidt (1918-2015), der letztlich den Spagat zwischen

Ausgleichspolitik in Folge des „Wandels durch Annäherung“ Willy Brandts und Egon Bahrs einerseits

und dem NATO-Doppelbeschluss der frühen 1980er andererseits insbesondere als Reaktion auf die

Sowjet-Invasion in Afghanistan 1979 schaffte: in seiner großen Altersweisheit sagte er auch irgendwann

zu Beginn des 21. Jahrhunderts sinngemäß, dass „bestimmte Formen des Staatsterrorismus“

bisweilen die schlimmste Form des Terrorismus seien. Weiter wollte er sich dazu nicht äußern.

 

Albert Einstein (1879-1955) sagte einmal, er wisse nicht, wie der 3. Weltkrieg ausgehen würde.

Aber er wisse, dass der 4. Weltkrieg dann wieder mit Keulen und Faustkeilen geführt werde.

Paul Virilio (1932-2018) nannte den ersten US-Golfkrieg 1991 einen „3. Weltkrieg im Kleinen“,

der als „Medienkrieg“ die Möglichkeit zukünftiger Kriege darstellen und die Bevölkerung

entsprechend darauf vorbereiten sollte. Der Drohnenkrieg als ferngesteuerte Kriegsführung,

die insbesondere zuletzt zwischen Armenien und Aserbaidschan im erneut aufgeflammten

Konflikt um Nagorny-Karabach letztlich zu einem „Blitzsieg“ Bakus führte, geht da nochmals

einen Schritt weiter.

 

Die „Ethik der Drohne“ ist wie dereinst nach Hiroshima und Nagasaki, Tschernobyl und Fukushima

die „Ethik der Atomspaltung“ im 20. Jahrhunderts eine der großen Herausforderungen

des 21. Jahrhunderts.

 

Afghanistan, das ja gerade zu Beginn der Präsidentschaft von Barack Obama etwa 2009 / 10,

als der strategisch wichtige Swat-Distrikt auf pakistanischer Seite des Khyber-Passes von Taliban

beherrscht wurde ein Erprobungsfeld des Drohnenkrieges insbesondere von Seiten der US war

indes zeigt, dass auch solch ein „Cyber-Krieg“ auf Dauer nicht gewonnen werden kann.

 

Weiterhin zeigt sich aber noch viel mehr in dieser Niederlage. Insbesondere was die völlige

Ignoranz gegenüber allen Warnungen und Hinweisen von militärischer wie von ziviler Seite

auf Seiten der Politik betrifft. Nicht nur der derzeitig Regierenden.


Wesley K. Clark, General **** a.D. der US-Streitkräfte und NATO-Oberbefehlshaber im

Jugoslawienkrieg zitierte 2007 einen befreundeten General im Pentagon Ende September 2001:

„Wenn das einzige Werkzeug, das einem zur Verfügung steht ein Hammer ist, dann muss jedes

Problem aussehen wie ein Nagel“. Clark spricht von einem „politischen Putsch“, der nach dem
11. September 2001
in den US von einigen „sturen Hardlinern“ vollzogen wurde. Politische
Hazardeure, die 7 Länder in 5 Jahren angreifen wollten. Gleichwohl verdeutlicht Clark, dass er

Soldaten von einer solchen Politik benutzt sieht. Er beschreibt also deutlich die „stetige
politische Beratungsresistenz“ in diesen Angelegenheiten.

 

20 US-Veteranen der Kriege in Irak und Afghanistan, die täglich sich das Leben nehmen,

7300 im Jahr sprechen eine deutliche Sprache. Viele suchten Bildungs- und Aufstiegschancen

beim Militär, wie Irak-und Afghanistan-Veteran Mike Prysner eindrucksvoll im Dezember 2010 schildert.

Ganz viele zerbrachen an den grausamen Realitäten an den Fronten „asymmetrischer Kriege“.

Die Dunkelziffer von „post-traumatischen Belastungsstörungen (PTBS)“ auch unter deutschen Kräften,

die dort in den Kriegsgebieten als bewaffnete oder unbewaffnete Sozialarbeiter im eigenen Verständnis

dienten, dürfte noch viel größer sein. Das Leid der Menschen vor Ort: unermesslich.

 

Auch Marcus Grotian und Lothar Hanke mit ihrem Netzwerk zur Evakuierung der Ortskräfte der

Bundeswehr seien hier als Mahner genannt und einmal mehr sei an Heike Groos (1960-2017),

stellvertretend für die gefallenen Soldaten der Bundeswehr gedacht. Auch wenn dazu zu sagen ist,
dass Heike einige Jahre nach ihrem letzten Afghanistan-Einsatz verstorben ist. Und

an ihren Interviewpartner dereinst, Roger Willemsen (1955-2016), der sich auch unermüdlich für

Land und Leute einsetzte. Auch Can Mereys Buch „Die afghanische Misere“, das 2008 eben diese

bereits hervorragend zusammenfassend betrachtet, sei hier kurz als entscheidende Mahnung genannt.

 

Auch soll hier nicht vergessen werden: Deutschlands Taktieren in der Flüchtlingsfrage war immer zuerst

vorwiegend durch Fragen der europäischen Einigkeit bestimmt. Das stetige Zaudern und Zögern indes nicht

nur zuletzt hat viele nicht nur „zurückgelassen“: der Arbeitgeber als Teil der Schutzmacht entlarvt sich

so immer mehr als Besatzungsmacht. Freunde und loyale Kollegen behandelt man so nicht.

Ich selbst erhielt 2013 eine Anfrage über einen Freund in Süddeutschland: der Übersetzer und Freund

eines Oberst der Bundeswehr, der in Kunduz stationiert gewesen war, war auf der Flucht im Lande.

Sein Vater war bereits von Taliban ermordet worden. Der junge Mann war gerade zum ersten Mal

selbst Vater geworden. Um seine Familie zu schützen, hatte er sich von ihr entfernt und ersuchte

dringendst um Asyl. Als ich einen befreundeten Entwicklungs- und Sozialarbeiter kontaktierte,

der durch alle Phasen über mehrere Dekaden hindurch im Lande geblieben war, da folgte bald die

ernüchternde Antwort: auch dieser hoch verdiente Mann hatte keinen Zugang mehr zu deutscher

Botschaft oder Konsulat in Kabul. Auch er konnte insofern nicht auf ein Dringlichkeitsverfahren im
Asylrecht für den höchst gefährdeten Mann und seine junge Familie hinwirken.

Ende offen. Einmal mehr. Behörden, die zu allererst sich selber schützen, scheinen allzu häufig zu

starr und unbeweglich zu sein, als dass sie in solchen komplexen Gemengelagen strategisch klug

und pragmatisch menschlicher Not auf dem Boden der Tatsachen eines „asymmetrischen Krieges“

entsprechend flexibel antwortend begegnen könnten.

 

Das erste Opfer jeden Krieges ist „die Wahrheit“. Diese wird gemeuchelt, um den Krieg zu „legitimieren“.

Die „ganze Wahrheit“ oder „Teil-Wahrheiten“: das wird bald immer undeutlicher. Und: das ist ja auch

so gewollt. 20 Jahre hat dieses ständige Behaupten von „Teil-Wahrheiten“ zu Afghanistan nun gedauert.

Die Verdrängung vieler zutiefst menschlicher Themen und Unterordnung unter die gängigen Narrative

vom völlig zersplitterten Gemeinwesen bis hin zum Steinzeitvolk: die Sowjetunion hatte sich seinerzeit

12 Jahre „erkauft“ durch die Invasion am Hindukusch. 1989 zerfiel der Warschauer Pakt, 1991 die Sowjetunion.

Die „politischen Eliten“ des Westens werden auch eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise erleben nun.

Die einfachen Narrative von den Afghanen als "rückständigen Menschen", die Ulrich Ladurner etwa

im September 2010 in der „Zeit“ unter dem Titel:
„Die können keine Demokratie! Der Westen denunziert die Afghanen – und lenkt vom eigenen Versagen ab“

entlarvte: sie schienen bis zuletzt aber durchaus auch das, was die meisten hören wollten. Nicht nur Politiker.

 

2009/10 arbeitete ich selbst in Afghanistan. Militärischer und ziviler Aufbau des Landes, insbesondere dann

auch Chancen und Möglichkeiten wurden medial nie gebührend betrachtet. Man hat nie "die ganze Familie"

und „das ganze Volk“, sondern immer vorwiegend Frauen und Mädchen sehen wollen. "Gemäßigtes

Paschtunwali" und überhaupt: die Mitte der Bevölkerung wurde so entleibt. Die Verfassung basierte schon

vor der jetzigen Machtübernahme der Taliban auf der Scharia.
„Auf die Auslegung der Scharia wird es ankommen“:
für Frauen ganz sicherlich. Als Mann, der dort arbeitete,
hat man auch weibliche Kolleginnen und ihre Kraft, ihre Klugheit und ihren Stolz geschätzt. Aber man hat
eben auch gesehen, wie wichtig die Familie und der Zusammenhalt darin dort ist. Wie verzweifelt und doch
auch: wie stolz und fürsorglich liebevoll die meisten Menschen in ihrer Armut und ihrer Anmut sind.
Wie viele Völker, die immer wieder fremd beherrscht wurden, so reichen die meisten Afghanen dem Gast
zunächst ihr Herz auf ihren Händen. Wenn dieser Gast jedoch das Herz ergreifen will: dann wird er Stolz
und Ehre der Menschen ob dieser Verletzung zu spüren bekommen. Wer diesen Ethos gleichfalls schätzt,
der wird auch so schnell seine afghanischen Freunde nicht verlieren.

Die gängigen „Narrative“ jedoch waren anders. „Kriegs- und Fluchtursachen" blieben außen vor.
Auch "geostrategische Folgen" des Staatsbankrotts 1955 bis heute wurden kaum im Wandel der
Zeiten analysiert. Die Tatsache, dass ANA-Soldaten nun rund 9-12 Monate keinen Sold mehr erhalten
haben und somit das Land eigentlich "ausgeliefert“ wurde: ohne Worte. Ein zutiefst verwundetes Land
und sein Volk wurden verraten. Einmal mehr.

Ein guter Freund, ein stolzer Paschtune, hervorragender Arzt, überhaupt: einer meiner klügsten Freunde
sagte schon 2015, dass es darauf hinauslaufe, dass Taliban und IS irgendwann bald im Blut des afghanischen
Volkes waten würden. Er befand sich damals kurz vor seiner Ausreise in die US.

Diese traurige Perspektive bleibt. Und sie verdichtet sich in diesen Tagen immer mehr.

Wenn Tamim Ansary dann den Widerstand von Seiten des Sohnes des legendären Ahmad Shah Massouds
aus dem Panjshir-Tal
beschreibt, dann scheint auch in dieser Hinsicht die erschreckende Perspektive eines
neuen Bürgerkrieges mit mehreren Fronten auf, den
das tief verwundete, kriegsmüde und einmal mehr seiner Hoffnungen beraubte afghanische Volk auszubaden hat.  

Wie jedoch dies verhindern?

 

Das Panjshir-Tal, Ende Juli 2009. Sowjetische Panzerwracks in der Strömung des kalten Gebirgsflusses. Im Hintergrund am Hang die Ruinen eines von den Taliban Ende der 1990er Jahre zerstörten Dorfes. Auch die Verteidigung dieser Provinz durch die Truppen des klugen Tajiken und afghanischen Nationalhelden Ahmad Shah Massoud erforderte viele Opfer. Sein Zug nach Kabul vorher nach Abzug der Sowjets jedoch hatte noch verheerendere Folgen.



Afghanistan und seine vielen Völkerschaften sind nicht minder komplex wie Deutschland und seine Länder

und die darin lebenden Menschen. Die Geschichte des Landes am Hindukusch und seine geostrategische

Position am Ende des Kalten Krieges und dessen Übergang zum „Kampf der Kulturen“ zwischen den Fronten insbesondere mit China als neuer Supermacht ist schwierig. Dennoch: die einfachen Narrative, die da stetig

wiederholt wurden, werden der Schönheit des Landes und der Mehrheit seiner Menschen und ihrer

Würde nicht im Mindesten gerecht.

 

2011, rund ein Jahr nach meiner „Demission“ aus Afghanistan arbeitete ich mein eigenes PTBS auch mit

einer genaueren Betrachtung der jüngeren Geschichte des Landes auf. Im 4. Teil von

„Afghanistan – Gradmesser für die Systemdekadenz“ - 1989 und danach – in Afghanistan und - in Kabul“

beschreibe ich neutral die Implosion eines Staates nach Abzug der „Schutz- und / oder Besatzungsmacht“.

Wie alles ist auch diese Warnung verhallt. Den Preis muss ein zutiefst verwundetes und insofern auch

völlig erschöpftes Volk zahlen. Und: PTBS resultiert in erster Linie aus Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit.

 

Weder Peter Scholl-Latour, noch Helmut Schmidt hatten den Klimawandel auf dem Schirm.

Auch die 28 klugen Thesen zum Land, die der damals bereits 92 Jahre zählende Altkanzler im Januar 2010

verfasste, betrachten dieses wichtige Thema nicht. Albert Einstein konnte diese Bedrohung erst recht

nicht parat haben. Paul Virilio, der als kleiner Junge zuerst die Verfolgung seines Vaters, eines

italienischen Partisanen durch die Gestapo und dann im Keller in Nantes die Bombardierungen der

Alliierten nach D-Day erlebte indes spricht im 2008 verfassten Nachwort zur Neu-Ausgabe seiner

erstmals 1975 erschienen „Bunker-Archäologie“ zu Hitlers Nord-Atlantikwall in der Normandie dann

auch von „der unerhörten Möglichkeit eines Ökozids“, der ähnlich verdrängt wie seinerzeit die

Gegenwart des „Genozids“ als Bedrohung am Firmament aufscheint. 

 

Vielfach wurde auch gesagt, dass die Taliban nun als „ländliche Macht die Städte erobert“ hätten.

Auch dieser Terminus, der den alten Konflikt zwischen konservativer Region und mondäner, bisweilen

gar verruchter Stadt auf den Hindukusch transponiert greift in einem Land, einer Region, die dem

Klimawandel schon viel länger schutzlos ausgeliefert ist als unsere Breiten viel zu kurz.

Eine grundlegende Aufarbeitung des Scheiterns des Westens muss gerade in der jetzigen blutigen

Übergangsphase rasch zu Perspektiven für das einmal mehr in Hoffnungslosigkeit gefangene

afghanische Volk geführt werden. Die Menschen dort haben wahrlich etwas besseres verdient.


Den dringenden Herausforderungen an die gesamte menschliche Spezies kann man nicht stetig

mit Schönfärberei und Teil-Wahrheiten begegnen. Die Chance, den Menschen, die da schutzlos

den Menschen gemachten Elementen und Früh- und Spätfolgen menschlichen Tun und Lassens

ausgesetzt sind eine Chance zu geben, genau an diesem ihrem Schutz und ihrer Hoffnung zu

arbeiten ist auch eine Möglichkeit. Genau daran sollten Europa und sein Naher und Mittlerer Osten

nun ansetzen.

Die „postdemokratische Kultur der Verantwortungslosigkeit“ und das damit verbundene

„Ressort-übergreifende Verantwortungsgeschubse“, das letztlich zur „Maßlosigkeit der zynischen

Unvernunft“ der grassierenden Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit der meisten Menschen auch

hier in Mitteleuropa geführt hat, muss endlich ein Ende haben.

 

Joe Bidens Billionen-Dollar-Plan für die Sanierung von Infrastrukturen ist letztlich der berühmte

„Tropfen im Ozean“. Das wird gerade mal für die Sanierung einiger Brücken über Hudson, Potomac

und Mississippi reichen. „Klimaneutralität“ oder „Klimaanpassung“, also Erhöhung der Abwehrkräfte

gegen Folgen des Klimawandels: ein kleiner Schritt dahin bedeutet das auch unter dem Banner

von „America first“ nicht im Geringsten. Europa muss da endlich andere Wege zur Vorschlagsreife bringen.

„Gutes Handwerk“ – mit „Kopf, Herz, Hand und Fuß“ erfordert auch

Wege aus der „afghanischen Misere“ heraus.

Diese und den Dialog dafür gilt es nun zu entwickeln.

 





Kabul Ende August 2009: durch Brunnenbohrungen begrünte (private) Innenhöfe und immer trockenere (öffentliche) Außenräume bei stetig sinkendem Grundwasserspiegel. Die Dürre im Land, auf die jetzt, im  Spätsommer 2021 verschärft aufmerksam gemacht wird, hat eine lange Vorgeschichte. Zwischen Stadt und Land, reich und arm. Wie in allen "asymmetrischen Konflikten" sind diese Grenzsituationen nur bedingt geographisch, eher "monetär" bedingt.




Nachsatz zu diesem Kommentar und “Erfahrungsbericht” eine Woche später, am 04.09.2021:

Es ist schon erstaunlich, wie viele Stimmen jetzt laut werden. Stimmen, die von der Politik des
„Business as Usual“ stetig ignoriert wurden.
Können die Regierenden der letzten 20 Jahre im Westen noch sagen, worum es ihnen
da beim „Krieg gegen den Terror“ ging?

„Nicht die Taliban, sondern wir haben den afghanischen Staat zerstört“, sagt Gilles Dorronsoro,
Professor der Politikwissenschaften an der Pariser Pantheon Sorbonne Universität in der NZZ.
Und der erfahrene Konflikt- und vor allem auch „Feldforscher“ belegt dies durchaus eindrucksvoll.
Die Geschichtsvergessenheit des „State-Building“ führte auch zu der Verlogenheit der Teilwahrheiten,
mit denen der Krieg des Westens immer wieder gerechtfertigt wurde.
Was hätte man wohl in Deutschland nach 1945 gesagt, wenn der letztlich das Land in Knechtschaft
bringende „Morgenthau-Plan“ von jungen „Nicht-Regierungs-Organisationen“ ausgeführt worden wäre?
Leuten, die letztlich in erster Linie an das neoliberale Dogma „freier Märkte“ und ihre
Karrierechancen zu Hause glaubten?

„Ich hätte gern noch viel mehr für die Jungs getan“, sagt Sascha Richter, Hauptmann der Reserve
der Bundeswehr, der 2019 bis 2020 in Masar-e-Sharif als „Führer der Ortskräfte“ im Einsatz war.
Er schildert ähnliche tiefe Freundschaften, wie unsereiner sie erlebt hat.

„Das von Rache erfüllte Leiden der Afghanen, das vom amerikanischen Reich orchestriert wurde,
wird biblische Ausmaße annehmen“, schreibt der frühere New York Times-Reporter Chris Hedges
voller Bitternis.

Was wollte die westliche Politik der letzten 20 Jahre also mit dem „Krieg gegen den Terror“
wirklich erreichen? Abgesehen davon, dass man „Nester des Terrors ausräuchern“ wollte?
Vielleicht bringt Nouriel Roubini mit seiner Warnung vor der „Mutter aller Schuldenkrisen“ 
im Juli 2021 da unsereiner weiter? Zeit also für einen Schuldenschnitt? Möglicherweise
einen „globalen Schuldenschnitt“ in Anbetracht stetiger Deflations- und Stagflations-
und Inflations- und Rezessions- und Depressionsdrohungen an der Wand im Laufe
der letzten 20 Jahre? Drohungen, die jetzt einmal mehr kulminieren und in vielen Ländern
besonders des globalen Südens schon zur galoppierenden Inflation und damit zu weiter
wachsenden Nöten geführt haben? Zeit also für Um- und Wiederaufbau eines besseren
und gerechteren „Finanzsystems“ und auch vor allem von Infrastrukturen, die den Menetekeln
Klimawandel und Finanzcrash und damit weiter kulminierender Kriege reich gegen arm
etwas entgegensetzen? Nämlich Kraft und Wille von Menschen. Vielen Menschen,
die das Recht auf eine würdevolle Zukunft auch für ihre Kinder bewahren helfen möchten.

 

Der „Frieden“ jetzt nach der Machtübernahme der Taliban: der Westen hatte die Uhren,
sie haben die Zeit. Sagten sie. Wirklich? John Maynard Keynes sprach nach dem Versailler
Vertrag 1919 von der „Heuchelei der Sieger“. Die Folgen dessen, „die Katastrophe nach
der Katastrophe“ ist Geschichte.

Wer indes heuchelt nun mehr?

Und: wer und was gewinnt die Zeit?

 

 

 

 











Da multinationale Gesetze der Vereinten Nationen und ihrer Gremien und sogar auf nationaler Ebene bereits verabschiedet
und meist auch bestätigt sind,

Potenzielle Unterstützer für Kampagnen und Initiativen,
die hier aufskizzierte Feldarbeit und Fallstudien dieser Art.



Einzelpersonen:


.

Organisationen, z.B. Schulen und Universitäten
und ihre verschiedenen Fakultäten:


Manifest ‘Extrem-Vermögenssteuer’ der "Global Wealth Foundation" (en)

“Viel Glück mit diesem Projekt ”    Thomas Piketty


"Viel Glück auch von unserer Seite! Es ist ganz wichtig, solche Informationen zu teilen und so solche Initiativen
wie Eure bekannter zu machen.

Wir sind eher auf operativem Feld tätig, aber: dadurch bieten wir eigentlich eine gute ergänzende
Annäherungsweise zur Initiative
Jean-Paul Fonteijn's und einer wachsenden Zahl von Unterstützern.

Oder auch umgekehrt. Wie auch immer."

(WEaD/sf; 6. Dez. 2020; auch in memoriam David Graeber (1961-2020): "Schulden: Die ersten 5000 Jahre" und hier:
"In Memory of David Graeber – COVID 19-related debt relief")





Artikel bei DiEM 25, "Democracy in Europe Movement" (Bewegung für Demokratie in Europa):



Gibt es eine Pandemie? Ja, die gibt es!

Gibt es Alternativen zu post-demokratischen

Antworten? Ja, die gibt es!

herausgegeben am 14. Dez. 2020


Oder – um es mit anderen Worten zu sagen: ist der Abschwung, in den wir hineinsteuern unvermeidlich?
Ist die Ursache dafür ganz alleine Covid-19? Laufen wir Gefahr, sogar in eine Rezession zu kommen?
Könnte diese Rezession sich zudem auch noch zu einer Depression ausweiten? Vielleicht sogar zu etwas
Ähnlichem wie die
im Englischen „Große Depression“ genannte „Weltwirtschaftskrise“ mit ihren
anfänglichen Tiefpunkten im Herbst 1929?

Hat die Pandemie alleine die Kraft, diesen wirtschaftlichen Niedergang zu verursachen oder
zumindest zu verstärken? Und: wie kommen wir aus dieser Abwärtsspirale heraus?


Fragmentierung von Wissen und Information, eingeschlossen darin monokausale Erklärungen
für vielseitig begründbare Aktionen verstärken Angst und Beklemmung. Menschen, die
eine
„korrodierte Realität“, oder ein „zersplittertes Bild von Wahrheit“ wahrnehmen neigen
zu großer Nervosität. Sie verspüren ihre eigene persönliche Identität einer übermäßigen
Bedrohung ausgesetzt. Auf der Suche nach Zuflucht vor dieser ständigen Schutzlosigkeit
kehren viele Menschen zurück zu ihren „stammesgeschichtlichen Wurzeln“. Ältere Menschen
wiederum kehren häufig eher zurück zu „offiziellen Wahrheiten“, um so ihre eigenen
schwindenden Kräfte aufrecht zu erhalten und so zudem ihre letzten Momente
hier mit uns genießen zu können.


Vertrauen und Zuversicht werden somit sowohl Teil von „zersplitterten Realitäten“
als auch ihrer Wahrnehmung. Die Teilung jeder Gesellschaft zwischen den Generationen
verstärkt sich. Der Austausch von Erfahrungen zwischen verschiedenen Altersgruppen
leidet darunter nicht nur auf dem „Alten Kontinent Europa“ mit seinen überall alternden Mehrheiten.


Öffentlicher Aufruhr als „moralische Empörung über Ungerechtigkeiten“ sollte auch gemäß
alter griechischer Definitionen von „Demokratie“ als „angemessenes und begründetes Gefühl“
betrachtet werden.
„Die stammesgeschichtlich begründete Wut“ jedoch sollten wir sorgsam
beobachten hinsichtlich ihrer Tendenz zur Gewalt. Instrumentalisiert von den Sendern
„einseitiger Erklärungsmuster für vielseitige Ansichten von Realität“ indes vermögen viele
Menschen leicht unter der „großen Last einer ausweglosen Verzweiflung“ zusammenzubrechen.
Also heißt es: wie können wir das kanalisieren?


Die Massen selbst sind schon für sich genommen das größte Problem. Man kann auch sagen:
das größte Problem der Demokratie. Besonders David Harvey betont immer wieder diese Tatsache.
Auch in einem spannenden Gespräch mit David Graeber aus dem Jahr 2012.

“Wer produziert und reproduziert urbanes Leben?”
, fragt Harvey. Die Beziehung zwischen
städtischen Zentren und dem Umland, der Region und dem Land selbst, in dem Menschen
sich ansiedeln offenbart andere Dimensionen der Begriffe von „Massen“ und von „Demokratie“.
Und von „Raum“ und seiner „Aneignung“ darin. Einmal mehr bestätigt sich hier der Nutzen
der Definition von „Infrastrukturen“ als
„Netzwerke, die alle Seiten und alle Ebenen
der Gesellschaft verbinden und versorgen“. 


Makroökonomen weisen neben vielen anderen Wissenschaftlern schon seit einigen Jahren
darauf hin, dass die Gefahr zunimmt, dass besonders in dezentral organisierten lokalen
örtlichen Märkten mit hoher Konzentration von globalem Kapital Blasen platzen. Sei es
Moritz Schularick, der zudem zurückgreifen kann auf seine ausgedehnte Forschung zu
Immobilienkapital in
„Die Rentabilität von Allem, 1870 – 2015” oder später, 2018 mit der
Überschrift
„Das kann nicht mehr lange so weitergehen“. Sei es auf „Prime – politische Forschung
zur Makroökonomie“, wo vor kurzem T. Sabri Öncü unter der schönen und charmanten Überschrift
„In Memoriam David Graeber – ein Covid-19 bezogener Schuldenerlass“ warnte:

„Bei allem hier Gesagten bleibt festzuhalten: wenn die Welt keine außerordentlichen
Maßnahmen ergreift, ist es unvermeidlich, dass eine Schuldenkrise von Entwicklungsländern
entstehen wird. Wenn diese nicht schon begonnen hat.“


Klimaaktivisten und andere politische Aktivisten erheben dazu auch vielerorts ihre Stimmen.

DiEM 25 und Progressive International sind da natürlich auch dabei. Die „Green New Deal für Europa“
Kampagne von
DiEM 25 ist hoch ambitioniert. Ein großartiges Konzept. Politiker jedoch
spielen immer noch die nationalen, manchmal sogar die Stammes-Karten aus. Ob in Europa
oder sonst wo. Also: was läuft da verkehrt, auf den Teller blickend und über den Tellerrand hinaus?
Ist die Welt immer noch in neoliberalen Erdlöchern gefangen? Und: scheitern wir im großen
Ganzen daran, die erforderlichen Netzwerke zu knüpfen, die Wandel und Veränderung ermöglichen?
Sind unsere Netzwerke und Infrastrukturen zu schwach und – benötigen diese stärkere und
reißfestere Verknüpfungen? Zwischen vielen verschiedenen Menschen mit verschiedenen
Hintergründen, die zudem eine Herkunft an vielen verschiedenen Orten aufweisen? Zwischen uns?


Wie dem auch sei: jede Art von Kommunikation und Netzwerkaufbau kann auch mit einer Maske,
die da Mund und Nase bedeckt erfolgen. Uns zu zersplittern liegt eher im Interesse von scheinbar
planlosen Herrschern im „Kapitalismus freier Märkte“. Den „Krieg gegen den Terror“ haben viele
Menschen in Europa als sehr weit entfernt von sich gewiesen. Klimawandel und Umweltzerstörung
durch eher raub-bauende als Ressourcen-schonende und Kreisläufe bildende Produktionsweisen
jedoch gehen uns in der Pandemie viel näher. Und sie erfordern nun viel besser koordinierte Veränderungen.

Um „Jubeljahr-Neustarts“ näher zu kommen jedoch müssen wir viel bessere Formen der Zusammenarbeit
entwickeln. Wir brauchen stärkere und entschlossenere Bündnisse als konservative und
neoliberale Gruppen und ihre Spitzen.  

Dann können wir auch über diese eher durch lähmenden Stillstand charakterisierte Situation
hinaus kommen. Dann können wir
Helden sein. Nicht nur für einen Tag, wie David Bowie einst sang.


Solidarität, was zumindest hier in Deutschland im Laufe der Pandemie zuletzt ein anderer
“gekaperter Begriff” war, muss wieder geerdet werden.

Eine der vielen Aufgaben, die vor UNS stehen.


Fotos von rechts nach links: Kinder in der Altstadt Kabuls, die stolz ihr Spielzeug präsentieren.
Ein über die Straße, vom Bus weg eilender Mann bei den ersten Tropfen der
Monsunzeit in Feni im ländlichen Bangladesch.
Wartende Fußgänger an einer Ampel im Zentrum Shanghais.

Alle Fotos (c) beim Autor.




Säulen und Fundamente einer
gemeinsamen europäischen Verfassung

herausgegeben am 5. Dez. 2020


In Zeiten von Umbruch und Krisen ist es dringend erforderlich, Wege aus dieser schmerzhaften Situation zu ebnen.

Welche Hindernisse jedoch stellen sich da in den Weg? Und welche Werkzeuge benötigt man, um den Weg frei zu machen?

Den Weg genauso wie den Blick? Auch dafür, eine klare Aussicht auf eine hoffnungsfrohe und

verheißungsvolle Zukunft zu gewinnen? Besonders in Anbetracht von wachsendem Nationalismus und

anderen eher gewalttätigen Entwicklungen, denen wir uns dieser Tage gegenübersehen?

Nicht nur, aber auch auf “dem alten Kontinent Europa”.


Eine Sache ist sicher: Menschen dafür zu gewinnen, für eine gemeinsame europäische Verfassung zu

kämpfen erfordert viel Arbeit. Von vielen verschiedenen Seiten. Und auf vielen verschiedenen Ebenen.

Integration, Partizipation und das Ermöglichen von Interessensausgleichen zwischen verschiedenen

Akteuren sind Schlüsselmomente dafür. Um diese Säulen aufzubauen. Oder vielmehr: um ihnen haltbare

Fundamente zu geben. Gründungen für jede Art von Gebäuden können nur gemeinsam geschaffen werden

von Menschen, die verschiedene Fertigkeiten kennen. Auch um ein Zelt aufzubauen bedarf es zumeist

mehr als zwei Händen. Und meistens auch eines Plans, um die mindestens zwei linken Hände dabei zu koordinieren.


Integration: Eine parlamentarische Versammlung, die wiederum von Kommissionen angeführt wird,

die für sich dann nochmals bestimmt werden von einzelnen Personen verschiedener Herkunft benötigen

zu allererst ein gemeinsames Ziel, auf das sie hinarbeiten. Einen Plan oder vielmehr

einen Rahmen von Gemeinsamkeiten, die alle Menschen, die da in diesem von diesen Institutionen

beherrschten Gebiet leben teilen. Ein „kollektives Gedächtnis“ ebenso wie „grundlegende Interessen“

und eine gewisse gemeinsame Übereinkunft über „menschliche Grundbedürfnisse“

und „Grundrechte und -pflichten“.


Partizipation und Interessensausgleiche zwischen verschiedenen Akteuren beinhalten viele (baulichen)

Details auf vielen Ebenen und Bauplätzen. „Gemeinwohl“ und “öffentliche Wohlfahrt” sind zwei weitere

Schlüsselbegriffe in diesem Sinne. Den Gegenspieler zu diesen eher dezentralen Prinzipien zum Wohle

lokaler Gemeinschaften stellen der Nationalismus oder jegliche Art der Errichtung einer Vorherrschaft

durch eine einzelne Gruppe oder von Individuen innerhalb oder außerhalb eines Landes oder eines

Bündnisses dar. Nationalismus als herrschendes Prinzip schafft mehr Hindernisse und zersetzende Kräfte.

Um jedoch zusammen zu finden müssen wir sowohl einen genaueren Blick auf diese uns trennenden Kräfte,

als auch auf die uns verbindenden Gemeinsamkeiten werfen.


Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit und die Kluft zwischen diesen beiden bezeichnen

einen anderen unbedingt zu berücksichtigenden Punkt in diesem Auf- und Ausbauvorgang. Auch wenn

es sich beim Gießen dieser Fundamente und beim Hochziehen dieser Säulen im Falle des Aufbaus einer

Verfassung eher um einen (meta-) physischen Bauvorgang handelt. Anhand bestimmter Details kann

dann im Hinblick auf einzelne Rechte der Abstand zwischen Anspruch und Wirklichkeit mess- und

darstellbar gemacht werden. Dies leitet dann auch hinüber zu anderen Kernfragen beim Auf- und Ausbau

einer gemeinsamen Verfassung für alle europäischen Bürger: im Norden wie im Süden.

Im Osten wie im Westen.


Gleichheit und Gerechtigkeit innerhalb dieser Vorgänge sind solche weiteren Kernthemen.

Die Erbfeindschaft zwischen Frankreich und Deutschland, die Visegrád-Gruppe, die Mittelmeerländer

mit Griechenland und Italien und den Flüchtlingen als menschlicher Faustpfand in einem kurzsichtigen

Deal zwischen der Türkei und der EU, die Benelux-Länder, wo es schon gewaltige ökonomische und

kulturelle Unterschiede alleine zwischen Belgien und den Niederlanden gibt, nicht zu vergessen der Brexit,

der bald vollzogen wird und seine Auswirkungen auf Schottland und das UK: Vorgänge der

Zersplitterung zwischen den verschiedenen Teilen der Union sind in den letzten Dekade immer

schwerwiegender und tief greifender geworden. Andererseits wächst die Gefahr, dass die andauernde

Krise auch von fremden Mächten, die derzeit nicht sehr vertrauenswürdig sind missbraucht wird.

Zumal wir auch geografisch zwischen den US auf der anderen Seite des Atlantiks und

China am anderen Ende der eurasischen Scholle stehen.


Insofern: auf allen Baustellen gibt es viel zu tun. Thomas Hobbes schrieb seinen Leviathan vor dem

Hintergrund des Britischen Bürgerkrieges. Ein fürchterliches Gemetzel, das am Ende des

30-jährigen Krieges in Mitteleuropa stattfand. Die barbarische Situation eines „Naturzustands“,

des „Krieges aller gegen alle“ konnte seiner Einschätzung und bitteren Erfahrung gemäß nur

durch eine „starke und unteilbare Art des Regierens“ verhindert werden. Dieser Herausforderung

kann wohl auch begegnet werden durch ein (Wieder-) Aufbauprogramm vielfältiger Infrastrukturen

zur Bekämpfung des Klimawandels. Und zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Menschen

gegen schon erfolgte Auswirkungen des Klimawandels. Den Kampf gegen lokale Umweltzerstörung.

Für nachhaltige und dem Gemeinwohl förderliche Kreislaufwirtschaften. Für und mit den Menschen.

Ohne dabei immer zu ignorieren, was Marc Blyth als Angrynomics bezeichnet.


Denn: ist es das, was Noam Chomsky schon lange eine „Politik der Angst“ nennt, was sich vom

„Krieg gegen den Terror“ ausgehend nun als „Kampf gegen das Virus“ fortsetzt? Das Virus, das als

Erklärung für alle wirtschaftlichen Turbulenzen dienen soll? Für alle platzenden Blasen? Vorgänge,

die sich schon lange ankündigen? Wobei die eigentlich unlösbare Frage danach, was zuerst da war,

Henne oder Ei, Ei oder Henne immer mehr tabuisiert wird?

Und: gab es einen Gewinner im „Krieg gegen den Terror“? Oder:

Kann es da eigentlich nur Verlierer geben, wie

Mike Prysner gemeinsam mit vielen anderen US-Veteranen im Dezember 2010 in Washington DC

deutlich macht? Und einmal mehr: wie steht Europa da? Zusammen oder gespalten?

Oder gar zersplittert?

Von „No Future“ der Sex Pistols in den 1980ern zum „Open Future“ der 1990er nach lähmenden Jahren

zu Beginn der 2000er und durch die 2010er Jahre nun eben „For Future“?

Das aber nicht nur am Freitag, sondern 24 / 7?

Das „Sich in die Zukunft hochrechnen“, die „Vergangenheit der Zukunft“:

Oder, wie Christian Geulen fragt:

welche Zukunft kaufen wir ein, wenn wir die Gegenwart endlos ausdehnen?


Den Trampelpfad vom Menschen, der dem Menschen ein Wolf ist verlassen. Vielleicht ist die

größte Herausforderung, Projekte zu Programmen zu bündeln, um so die Chancen und Möglichkeiten

zu verstärken, dass sich ein Europa der zusammen-arbeitenden Regionen statt von

widerstreitenden Lobbyisten herausbildet. Da sich die nach der Pandemie benannte Krise immer

mehr zu einer immer dringlicher werdenden Rezession ausweiten könnte und so immer mehr

Menschen existenziell bedrohen kann bedeutet dies voranzutreiben sicher einen heftigen Kampf.

Aber einen sehr wichtigen.

Einmal mehr hier der letzte Link zu

WEaD: Water Equity and Dignity” (Wasser Gerechtigkeit und die Würde des Menschen) als eine

Annäherung an einen Weg zum Bau von Fundamenten für Säulen und bald auch ein Dach –

„eine starke, unteilbare Verfassung“ für ein vereinigtes, nicht geteiltes und zersplittertes Europa.

Ein „alter Kontinent“, der sich auf den Weg begibt zu einer wirklichen Außenpolitik. Auch, um nicht

die fatalen Stereotypien der vergangenen Dekaden zu wiederholen. Und das Schlafwandeln

in die Katastrophen der ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts. Ein Europa, das seine eigene Position

zwischen den Machtspielen austariert. Und sich so hin zu mehr Realismus bewegt.

Die alten Abgründe des Idealismus vermeidend. Nach innen wie nach außen.


Hoffnung und eine tragfähige Verbindung zwischen Menschen aus allen Schichten der

Gesellschaften schaffen bessere Bedingungen für den Bau von Säulen und die Gründung von

Gemeinschaften als Vereinzelung und Isolation.

Das geht unbedingt zusammen mit einem Green New Deal.

Vielleicht benötigen wir dafür auch ein „Erlassjahr“, oder ein „Freijahr“ oder „Jubeljahr“.

Wie schon vor mehr als 2000 Jahren. Einen „Neustart“ unter gerechteren Ausgangsbedingungen

für alle. So wie 1949. Aber ohne die globale Katastrophe von 1939-45 davor.

Dafür lohnt es, zu streiten. Und zu kämpfen. Aufzubrechen.  





Europäische Steuerzahler sollten entscheiden:

Steuerabführungen (von bis zu 2% des BIP) für

Militärischen Interventionismus oder für

den (Wieder-)Aufbau Multinationaler Infrastrukturen?

herausgegeben am 21. Nov. 2020



Die Konflikte in Sachen "Außenpolitik" und Erhöhung der Militärausgaben offenbaren ein

"gewisses europäisches Vakuum" in dieser Angelegenheit.

Besonders jüngere Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Deutschland, aber

auch in der deutschen Regierung selbst legen diesen Konflikt deutlich offen.

Sollten wir fortfahren, den US zu folgen, die wiederum fordern, dass alle NATO-Staaten

(besonders Deutschland) mindestens 2 % ihres BIP für Militärausgaben verwenden oder

sollten wir "neue Wege von internationalem Handel und Kommunikation" entwickeln?


Den Status Quo dieser Tage in globalen Angelegenheiten betrachtet
LaunchPad Education's Auswertung vom SIPRI REPORT 2019
in ausgezeichneter Weise.

Herr Sumit Sharma macht dies zumeist von einer indischen Warte aus. Aber in gewisser Weise

zeigt er dabei auch einen anderen Blickwinkel auf die geostrategischen Verwerfungen auf,

denen wir uns derzeit im "Mittleren Osten" gegenübersehen. Die Trümmer einer erschütterten

Region, die für Europa der "Nahe Osten" ist, und die man in Indien den "Nahen Westen" nennen könnte.

Für den Subkontinent jedoch liegen da Pakistan und Afghanistan im Westen und Bangladesch

und China im Osten.

Insofern ist Indiens geostrategische Lage so empfindlich wie die europäische mit seiner
Lage am Mittelmeer und der Türkei im Süden und Russland im Osten. Nicht zu vergessen all
die geschichtlichen Erblasten, die der Subkontinent genauso hat wie sie auf den Schultern des

"alten Kontinents" Europa hier lasten.


Was könnte also eine geänderte europäische Außenpolitik im Detail bewirken?

Zu allererst: Das soll nicht heißen, dass alle staatlichen Armeen abgebaut werden.

Es handelt sich vielmehr um eine Änderung der Strategie.

Die Sicherheit von (Wieder-) Aufbauprojekten in erschütterten und Kriegszerstörten Ländern
erfordert durchaus schlichtende Militärpräsenz zum Schutz von Infrastrukturen und ihrem Auf- und Ausbau.

Interessensausgleiche zwischen (privaten) Grundbesitzern und (öffentlichen) Angelegenheiten

wie z.B. Wasser, Gesundheit etc. erfordert eine angemessene Bedarfsermittlung und Planung.
Zu allererst geht es darum, Vertrauen aufzubauen. Zum Schutz dieser Vorgänge jedoch
bedarf es "bewaffneter Sozialarbeiter".

Oder, um es mit den Worten des US-Generals a.D. Wesley Clarke, dem früheren Oberbefehlshaber
der NATO-Streitkräfte in Europa auf dem Global Citizen Forum 2017 zu sagen:
 
"Unser System ist ein globales System, und wenn es nicht dazu verhilft, anderen aufzuhelfen
und stärkere Wert-Gemeinschaften aufzubauen, wozu ist es dann sonst noch zu gebrauchen?"


Zweitens: "Klima- und Kriegsflüchtlinge".

Martin Gerner, ein erfahrener Journalist, der nun bald zwei Jahrzehnte in und aus dem Land berichtet,

sagt nach einem kürzlichen zweimonatigen Aufenthalt auf Lesbos, dass derzeit 80 % der Flüchtlinge

in griechischen Camps Afghanen sind. Nach mehr als 40 Jahren Krieg und Vernachlässigung,

65 Jahre nach dem Staatsbankrott sind die Menschen dort mehr als erschöpft.

Die menschlichen Katastrophen in Jemen und Syrien, der Staatsbankrott des Libanons etc.:

ist "Weiter wie bisher" der richtige Weg hin zu einer "europäischen Außenpolitik"?

Auch im Hinblick auf unsere eigene Sicherheit hier auf dem "alten Kontinent"?


Drittens: Der Aufbau von Infrastrukturen ist wahrlich mehr als nur mit und an fremden Orten zu arbeiten.

Es geht dabei um das Knüpfen von Netzwerken und den Aufbau von Beziehungen bis hin zur Freundschaft.
Es geht darum, lokalen Herausforderungen zu begegnen und diese in einen globalen Kontext zu stellen.

Und dabei immer mehr Menschen in Partizipationsverfahren einzubinden.

Wahrlich keine leichte Aufgabe.

Aber ein ganz wichtiger und erforderlicher Schritt.


Für weitere Informationen: 
 
"WEaD - Water, Equity and Dignity" (Wasser, Gerechtigkeit und die Würde des Menschen)

versucht, solchermaßen erweiterte Ansätze für diese Arbeitsweisen spruchreif zu machen.

Änderungen in Handel und Kommunikation, die nach innen wie nach außen wirksam sein sollen.

Insofern auch im Hinblick auf "Außenpolitik". Für jede Art von Feedback sind wir sehr dankbar.

Danke.




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